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Bild 1: Peeping Tom
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:Parveen Adams
[Vater, siehst du nicht, dass ich filme?"[1"
Aus dem Englischen übersetzt von Hans-Peter Jäck
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Was heißt es, einen Film über Perversion zu sehen? Ruft ein solches Szenarium unvermeidlich die Schaulust des Zuschauers auf den Plan? Hat eine perverse Szene gegenüber anderen tatsächlich einen Vorteil, solches zu erreichen? Offensichtlich denkt und spielt vieles am Kino mit einem Reiz-Repertoire, das nicht nur dem Schauen, sondern dem Anschauen einer Perversion gilt. Im Allgemeinen ist es ein zusätzliches Charakteristikum jeder Perversion, den Zuschauer zu erregen, als ob die Aura der Perversion aus einer Vereinnahmung der Sicht bestünde, die erfordert, dass der Zuschauer die visuelle Energie, die sich in der Szene erschöpft, erneuert. «Schau mich an!»
?«abwenden, weil es «zu viel» ist, müssen wir fragen: zu viel «wovon
Das hat zur Überlegung geführt, dass das Vergnügen des Kinozuschauers insoweit pervers ist, als es der Herrschaft der Schaulust gehorcht. Und auch zur Überlegung, dass die Perversion insoweit zu genießen sei, als sie mit der Lust des Zuschauers verglichen werden kann. Doch dies, so scheint mir, verfehlt die Unterscheidung zwischen Lust und der Frage des Genießens, der jouissance. Um diese Unterscheidungen zu untermauern, werde ich lieber über einen Film sprechen – Michael Powells Peeping Tom (1960) [in Deutschland bekannt unter dem Titel "Augen der Angst"]. Er handelt von einem jungen Mann, Mark Lewis, der Frauen filmt, während er sie tötet. Zur damaligen Zeit war der Film eine Art Skandal. Ein Rezensent hatte vorgeschlagen, ihn in der nächsten Toilette hinunterzuspülen. Seitdem hat er jedoch ein gewisses Ansehen erlangt. Linda Williams nannte ihn einen «fortschrittlichen»
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Ich möchte die Frage des Schauens an der Frage der Perversion und ihrer Beziehung zum Genießen festmachen. Der wirkliche Titel des Films sollte sein: «Vater, siehst du nicht, dass ich filme? »
Ich habe schon von der Lacan’sche Kategorie des Genießens gesprochen. Genießen ist natürlich nicht etwas, das existiert, oder besser: es existiert als das, was nicht da ist, was verloren und für immer verschwunden ist. Es ist das Reale, das, wie Lacan bekanntlich erklärte, unmöglich ist. Doch das heißt nicht, dass es irrelevant ist. Es bricht ein und stört das Leben der symbolischen Ordnung. Das, was vom Realen zum Symbolischen kommt, nennt Lacan Objekt klein a. Es funktioniert wie ein Loch und wie ein Deckel auf diesem Loch; und wenn man es beschreibt, so heißt das, die Schwankungen des verlorenen Objekts zu kartografieren. Das verlorene Objekt ist die Verbindung zwischen dem Symbolischen und dem Realen und das, was daraus hervorgeht [its stake], ist das Genießen. Das Symbolische und das Reale sind zwei heterogene Ordnungen, und doch erscheint das Reale auch im Symbolischen; d.h. obwohl es keine direkte, unterscheidbare Beziehung zum Genießen gibt, müssen wir uns aber dennoch mit dem Objekt als Rest des Genießens beschäftigen. Ich möchte hinzufügen, dass jenes Genießen nicht sehr angenehm ist und dass Deine Mutter – anders als die von .Mark Lewis – Dich vor ihm hätte warnen sollen
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Nun kann das Objekt klein a verkannt und nach ihm auf unterschiedliche Weisen gesucht werden. Man kann eine Begierde nach dem Objekt entwickeln und denken, man könne es haben, dabei aber das Wissen vergessen, dass das Objekt dem Begehren vorausgeht, dass es die Ursache des Begehrens ist. Oder man kann eine Begierde nach dem Objekt entwickeln und denken, der Andere habe es, was sich in den Erwartungen zeigt, die der Analysand in die analytische Situation einbringt. Oder die Objektbeziehung kann eine Identifizierungsbeziehung sein wie bei Perversionen, wie das im Masochismus klar veranschaulicht wird, worin der Masochist zum Objekt wird, oder – eher noch – er auch dasjenige ist, was das Genießen des Anderen sicherstellt; m.a.W. man ist das, was sicherstellt, dass der Andere das Objekt hat. Hier kommt die Analyse mit ins Spiel – man kann mit dem Ende der Analyse den Mangel des Objekts im Anderen erkennen, m.a.W. erkennen, dass der Andere unvollständig ist und dass auch er das Objekt nicht besitzt. Auf dem Weg dahin kann man sich wie im passage à l’acte mit dem Verfallen [fall] des Objekts identifizieren – wie die junge homosexuelle Patientin Freuds, die in den Stadtbahngraben gesprungen ist. Oder man kann im Gegensatz dazu im acting-out direkten Zugang zum Objekt und zum Genießen suchen, indem man das Objekt in der Realität haben will. Das unterscheidet sich sehr wohl von der Begierde nach dem Objekt in der Realität, weil es an jener Merkwürdigkeit teilhat, die Lacan mit der Präsenz des Realen im Symbolischen identifiziert
Das zeigt, dass das Subjekt partiell durch seine Beziehungen zum Objekt bestimmt ist. Es ist zu hoffen, dass die Analyse vielerlei Beziehungen zum Objekt eröffnet und eine Trennung von ihm erlaubt. Perversionen, wie sie der Film entfaltet, würden sich jedweder Art solcher Trennungen widersetzen, so dass der Zuschauer eines solchen Filmes sehr wohl in eine interessante Beziehung zum Objekt gesetzt werden kann
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Lassen Sie mich zunächst etwas über den Film sagen. Peeping Tom ist die Geschichte eines jungen Mannes, Mark Lewis, der Filme macht und in einem Studio als Kamera-Assistent und Bildschärfeneinsteller arbeitet. Seine eigene Filmkamera, von der er sich niemals trennt, ist sein besonderes Objekt. Damit kann er diejenigen Szenen filmen, die er nicht in Worte zu fassen vermag. In diesen Szenen filmt die Kamera einen Mord und ist zugleich die Mordwaffe. Denn eines der Dreibeine verbirgt ein Stilett in der Spitze. Ein Opfer wird gefilmt, während das Stilett sich ihm nähert, das Thema [subject] ist demnach eine Studie über den Terror. Der Ausdruck des Schreckens wird verstärkt durch einen mit der Kamera verbundenen Reflektor, einen konkaven Spiegel, in dem die Frau als Opfer ihr eigenes verzerrtes Spiegelbild sieht, das in ihrem Gesicht einen Blick festhält, der – wie der Detektiv bemerkt – bei weitem das Entsetzen übertrifft, das normalerweise auf dem Gesicht eines Opfers zu finden ist. Doch dieser Akt gelingt nie richtig; ein Etwas wird nicht erfasst, das die Tatsache kennzeichnen würde, er – Mark Lewis – befände sich selbst in der Rolle des Regisseurs. Eine solche triumphierende Dokumentation bleibt [ihm verwehrt; "Das Licht ist zu früh ausgegangen!"[4
Diese unvollständige und schematische Darstellung wird sofort Ihre schlimmsten Befürchtungen darüber bestärken, welcher Art Film das ist. Ist es, wie Mary Ann Doane vor zehn Jahren sich gefragt hat, eine Art Film, in dem "das herrschende Kino zum wiederholten Male voyeuristische Szenarien einschreibt, indem es sich, zum Schaden der Frauen, die Beziehung des Filmbetrachters zu eigen macht oder zu erzählerischer Form gestaltet"? In diesem Argument schaut [nur] der Mann – und die Frau darf es nicht. Vermutlich schaut der Mann die Frau an und vermutlich findet er darin eine Befriedigung. Doch Mark Lewis schaut nach einem Blick, der sein Schauen befriedigen soll, ihm aber dennoch diese Befriedigung nicht gibt. Sicherlich ist sein Schauen in Szenen von Voyeurismus und Exhibitionismus eingeschrieben, doch es gibt dabei noch andere eingeschriebene Szenarien des Schauens, die für die Filmhandlung konstituierend sind. Hierin aber zählt allein der Blick der Frau – oder anders: die Beziehung der Frau zum Blick. Denn der Blick ist der Blick als Objekt [das Objekt Blick]. Es sind diese Schwankungen [vicissitudes] des Objekts im Film, denen ich nachgehen möchte.
Der Titel des Films, Peeping Tom – also: Spanner –, und das Auftauchen eines Psychiaters, der von Skoptophilie spricht, sind sowohl notwendig wie irreführend. Wenn irgendetwas zu Beginn des Filmes wie ein Spanner blickt, so ist es der Film; wir sind es, die wie Spanner blicken. Doch Mark Lewis ist vor allem ein Exhibitionist. Und das hat zum Teil zu tun mit der mörderischen Kamera und ihrem phallischen Stilett. Aber auch mit dem, was er zu tun beabsichtigt, d.h. einen Blick zu erzeugen und zu stehlen. Wozu erzeugt er den Schrecken? Was tut er? Er bewirkt die Spaltung des Anderen, um zu zeigen, dass der Andere das Objekt hat. D.h. die Szene sichert das Genießen des Anderen, und das ist das Ziel jeder Perversion. Nun geht es im Exhibitionismus und im Voyeurismus um das Objekt Blick. Wenn ein Spanner blickt, so schließt sich der Kreis des Triebs erst dann, wenn er selbst durch ein Rascheln oder eine Bewegung rein als Blick überrascht wird. Demgegenüber zwingt der Exhibitionist den Blick durch die Spaltung des anderen in den anderen hinein. Am Ende identifiziert sich nach Lacans Lehre der Exhibitionist ebenfalls mit dem Objekt. Doch sein Mechanismus erlaubt uns, Sinn im Zerrspiegel von Mark Lewis’ Szenarium zu sehen und später ebenso in zwei entscheidenden Szenen im Film
Im Hinblick auf den Exhibitionismus wie auch auf den Voyeurismus ist es wichtig, dass der Partner des Perversen mit dem Auge eines Komplizen sieht, mit einem faszinierten Auge. Das erinnert uns an die von Theodor Reik[5] überlieferte Geschichte eines misslungenen exhibitionistischen Akts, in der die Frau ausruft: "Guter Mann! Hoffentlich erkälten Sie sich nicht!" Sie schaut und entzieht sich. Doch, was passiert, wenn der Blick vereinnahmt wird? Indem der Perverse den Anderen spalten will, inszeniert er eine Herausforderung der Kastration. Der Mangel, der im Anderen erscheinen würde, wird durchs Objekt verstopft, d.h. aufgefüllt. Mit dem faszinierten Auge ist der Partner des Exhibitionisten Komplize dieser Verleugnung der Kastration; der Blick vervollständigt den Anderen, er sichert das Genießen des Anderen. Das aber geschieht mit der Frau in Reiks Geschichte nicht, und, wie wir sehen werden, auch nicht mit einer Frau in der Geschichte von Peeping Tom
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So also versucht Mark Lewis, sich mit Hilfe seiner exhibitionistischen Mordszenarien das Genießen direkt zugänglich zu machen, und der Film lädt uns zur Teilnahme daran ein. Als er sich an seine ersten beiden Opfer heranschleicht, sind wir innerhalb seines Kamerablickpunkts miteingeschlossen. In diesem Augenblick sind wir jemand, der sich in tausend Horrorfilmen die Bedrohung des Opfers schmecken lässt, und zwar im selben Moment, in dem wir uns mit ihm [oder ihr, denn das Opfer ist immer eine Frau] identifizieren. Dann wendet sich der Film von Mark Lewis’ Dokumentarfilm ab; vor dem Mord erfolgt ein Schnitt und der Film wiederholt seinen Dokumentarfilm als einen Akt der Wiederholung und der Projektion in seiner Dunkelkammer. Doch Mark Lewis fängt nicht ein, was er einzufangen gehofft hatte. Der Film zeigt uns, dass – wie tatsächlich im Falle des Sadomasochismus – das, was hier auf dem Spiele steht, ganz verschieden ist von Qual, obgleich es qualvoll ist. Marks Ziel ist es, das dokumentarisch festzuhalten, was Lacan die angoisse des Anderen nennt, die Angst, die ans Reale rührt und es in Beziehung zum sujet barré setzt. Das aber hebt den Film eher auf die Ebene des Problems des Genießens als auf die des imaginären Systems von Lust und Unlust. Wir als Zuschauer sind darin eingebunden, ebenso wie wir in die Position gebracht werden, sehen zu wollen, was das ist, was Mark Lewis sehen will, obgleich wir nicht wissen, was er zu tun beabsichtigt. Wir blicken nicht nur bei den ersten beiden Mordszenen durch seinen Kamerasucher, sondern bisweilen sind wir Teilhaber an seinem Blick auf die erneut abgespielte Filmszene in seiner Dunkelkammer. Generell sehen wir hier zunächst seinen breiten Rücken und dieser Teil seines Körpers lässt den Inhalt des Dokumentarfilms sehen, den er gedreht hat, was eine explizite Abfolge von Blicken auslöst, in denen wir zusammen mit ihm auf unser gemeinsames Opfer schauen. Am Ende des Dokumentarfilms wird die Leinwand jedoch manchmal von seinem Rücken verdeckt, und zwar in dem Augenblick, als er erkennt, dass er den letzten Blick, den er einfangen wollte, nicht eingefangen hat. Dann dient sein Körper dazu, die Szene kurz vor der antizipierten Perversion zu verdecken; er blockiert also das perverse Sehen. Beim Wiederabspielen des zweiten Mordes erscheint eine zusätzliche Figur, die eine zweite Blockierung bewirkt. Sie löst, wie wir sehen werden, diesen .Effekt aus einem anderen Grunde aus: sie ist nämlich blind
Der Film liefert uns Teile der unvollendeten Dokumentation mit Hilfe eines anderen, sich darauf beziehenden Dokumentarfilms nach: Altes Filmmaterial zeigt Mark Lewis als Jungen, der von seinem Vater gefilmt wird, der ebenfalls Dokumentarfilme drehte. Grelle Lichter wecken den Jungen auf, dem dadurch, dass man ihn im Zustand der Furcht filmt, Schlaf und Privatsphäre entzogen werden. Denn sein Vater wird als Forscher vorgeführt, dessen Untersuchungen über Furcht ihn dazu gebracht haben zu filmen, wie sein Sohn aufwacht und eine Eidechse auf seinem Bettlaken findet; wie sein Kind am Totenbett der Mutter steht und wie es ein Liebespaar betrachtet. Das Material endet damit, wie das glückliche Monster mit einer zweiten Frau das Heim verlässt und den Jungen mit einem Geschenk zurücklässt – einer Kamera. Offensichtlich kann die Kamera nur die Filmbilder seines Vaters aufnehmen, und der Sohn macht sich seinerseits weiter daran, eine Szene dokumentarisch zu erfassen, die im Wesentlichen die vom Vater als Dokument festgehaltene Szene wiederholt. Die Szene, die Mark Lewis zu filmen versucht, – seine eigene ursprüngliche mise-en-scène – hat nichts mit den Bedeutungen der Urszene zu tun, sondern mit unerträglichem Genießen. Diese Produktion verspricht, ihn zu befreien, sobald er sie einmal auf Zelluloid gebannt hat. Doch jeder Mord kann nur eine Probe sein, eben weil das Licht .zu früh ausgeht
Tatsächlich will Mark Lewis eine Dokumentation erstellen, die ihn von der Qual seines eigenen Lebens befreien soll. Wenn er etwas auf Zelluloid bannt, so kann er sich selbst befreien. Es würde den Blick des Entsetzens dokumentieren, den jemand, der gerade ermordet wird, zeigen würde [would exhibit], wenn dieser nicht nur dem Tod ins Auge schaut, sondern als Opfer sein eigenes Gesicht im Augenblick des Todes – im momento mori – anschaute. In diesem Szenarium können wir das Versprechen des Schauens und dessen Unmöglichkeit sehen. Es stützt sich auf die Idee der Erfüllung des Terrors, in der das Subjekt und der Andere, das Töten und das Getötet-Werden, das Sehen und das Gesehen-Werden in einem einzigen Objekt – in einem einzigen unmöglichen Moment – verkörpert werden. Seine Morde basieren auf der Hypothese, dass er im Töten eine angemessene Opfergabe verordnet haben wird. Doch das ist unmöglich, und der Dokumentarfilm ist nur ein Simulacrum der Dokumentation, die zu ihrer Erfüllung noch auf ihn wartet. Der Versuch, den Anderen, um ihm zu entfliehen, nachzumachen, stellt ihn, indem er dem Anderen Opfergaben [sacrifices] darbringt, an den Platz des Opfers [victim] zurück. Es ist eine Szene, die nur dadurch erfüllt, werden kann, wenn sie korrekt vollzogen [cast] ist, wenn er sich schließlich selbst an .die Spitze stellt
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Das Drama handelt von der Erfüllung dieser Logik. Zwei Personen, eine Tochter und ihre blinde Mutter, leben in der Wohnung unter Mark und seiner Dunkelkammer. Sie lassen eine Krise in das Drama und in der Beziehung des Zuschauers zum Objekt Blick hereinbrechen. Die Tochter (insoweit sie in Mark Lewis einen romantischen Wunsch weckt, der aus seiner Urszene abgespalten ist) lässt in ihm den Wunsch entstehen, kein Opfer aus ihr zu machen, er muss sie nicht im Entsetzen sehen, sonst wäre ihr Schicksal besiegelt. Das wirft ein Licht auf die Unausweichlichkeit seiner Perversion und verhilft uns am Ende zu einer anderen Blickweise. Inzwischen treibt ihn die Begegnung mit der Mutter zum Szenarium seines Suizids und erlaubt einen Bruch mit der Abfolge der Blicke, die das perverse Szenarium arrangiert. Ich werde zunächst von der Tochter sprechen und ihrer ersten Begegnung mit Mark Lewis, aus der dieses irgendwie Neue hervorgeht, nämlich dass er aus ihr keinesfalls ein Opfer machen will, dieses Etwas, das schließlich die Unausweichlichkeit seines perversen Wunsches einfach nur stark hervorhebt. Der Film zeigt nicht explizit, wie diese Situation eintritt, deshalb will ich .versuchen, sie aufzuklären
Zur ersten Begegnung: Wir betrachten gerade eine im vollen Gange befindliche Geburtstagsparty und sehen, wie Mark Lewis durch das Fenster hereinsieht. Helen, die Tochter, deren einundzwanzigster Geburtstag gefeiert wird, stürzt unbefangen ins Treppenhaus und lädt ihn ein; doch er schützt Arbeit vor und geht nach oben. Wir sehen, wie er einen Teil seines nicht abgeschlossenen Dokumentarfilms anschaut (der Film des ersten Mordes, den wir schon gesehen haben), als es an die Tür klopft. Es ist Helen, die ihm ein Stück Kuchen bringt. Sie tritt ein, nimmt die Einladung an, Milch zu trinken, und bittet ihn inständig, ihr als Geburtstagsgeschenk den Film zu zeigen, den er sich gerade angesehen hat. Sie gehen in die Dunkelkammer und dort erfährt sie über diesen Fremden mehr als ihr lieb ist. Nicht nur, dass er der Besitzer des Hauses ist, sondern auch dass es seinem Vater gehörte und dass dieser Vater ein Wissenschaftler war, der die Entwicklung der Furcht bei Kindern erforschte. Und zwar tatsächlich bei seinem Kind, Mark Lewis, dessen Dokumentation Helen schwarz auf weiß gezeigt bekommt. Sie sieht die Szene mit der Eidechse. Sie bekommt es mit der Angst zu tun und will wissen, was der Vater damit erreichen wollte. Schließlich kommt ein Geburtstagsgast, um sie zurückzuholen; sie verlassen Mark Lewis, der auf das .Stück Kuchen auf dem Tisch starrt
Es ist etwas passiert, wovon diese Beschreibung keine Vorstellung liefert. Visuell ist die Szene, die sich in seiner Dunkel- und Projektionskammer abspielt, recht bemerkenswert. Es ist halbdunkel, mit einem scharfen Kontrast zwischen dämmrigen, undeutlichen Räumen und der Gewalt plötzlicher Blitzlichter, mit tiefen Rot- und Gelbtönen, wobei eine bestimmte Art von Körnigkeit dominiert. Unsere Augen irren darin herum, so wie das Helen im Halblicht tut, und auch wir reagieren auf das Licht, das Mark Lewis plötzlich und gewalttätig auf sie fallen lässt. Die Szene handelt von der Mechanik des Beleuchtens und des Filmens, wobei die Elemente ein Echo seines Szenariums .und eine leise Drohung hervorrufen
Das liegt seiner Absicht fern. Um die Filme aus seiner Jugend anzusehen, setzt er Helen auf den Regiestuhl, der seinen Namen – Mark Lewis – trägt. Etwas macht es schwer, dass sie sein Opfer wird; etwas, das diese Szene selbst erzeugt. Trotz des drohenden Echos passiert etwas anderes. Eine Veränderung in den fragmentarischen Silhouetten, Formen, den halbdunklen Räumen und ihren Tiefen. Eine Veränderung, die damit zu tun hat, was mit Mark Lewis passiert und die wir über das, was mit uns passiert, registrieren. Wie im Traum befinden wir uns, wie Lacan sagt, "zutiefst an einem Ort von jemandem, der nicht sieht". D.h. wir verschmelzen in dieser Szene genau wie Mark Lewis mit Helen. Wir können sagen, dass diese Identifizierung Mark [Lewis’ Ich begründet und Helen vor seinem Szenarium rettet..[6
Helen wird auch in Verbindung gebracht mit einer Anordnung [matrix] von Dingen, die mit seiner Mutter zu tun hat. Hinweise dazu sind überall verstreut – die Milch, die nochmals auftaucht, das Wissen, dass Helens Zimmer das seiner Mutter war –, doch sie fallen erst auf, wenn wir andere Dinge in Betracht ziehen, die weniger offenkundig mit der Mutter zu tun haben, Dinge, die auf etwas hinweisen, das wir die 'Zeit der Mutter' nennen können, die Zeit der Reflexion im Spiegel, vor der Triangulierung, die Zeit, in der langsam die Beziehung zu anderen und damit dem Versprechen nach Zärtlichkeit geboren wird. Nennen wir’s das Versprechen der Menschwerdung dieses Monsters .Mark Lewis
Diese verstreuten Hinweise betreffen auch schon den Mark Lewis, der durchs Parterrefenster seines eigenen Hauses hinein auf die Party schaut – was allen so vertraut und ihm doch verzweifelt fremd ist: der Blick hinein auf Geplapper, Gelächter, Fröhlichkeit. Er schaut hinein ins Haus seiner Kindheit. Er findet Helen im Zuhause seiner Kindheit. Helen ist buchstäblich und symbolisch am Ort seiner Kindheit. Doch noch bezeichnender ist die Geste, mit der Mark Lewis, gefangen genommen von der sich vor ihm abspielenden Szene, an einer Reaktion [einem Echo] aus der Vergangenheit zu hängen scheint. Das geschieht zweimal: einmal bei der zweiten Begegnung, als er ihr das eigentlich erste Geburtstagsgeschenk zum einundzwanzigsten Geburtstag macht, eine Libellenbrosche [dragonfly brooch], und dann wieder auf ihrem gemeinsamen Weg zum Abendessen, als er auf der Strasse wie angewurzelt vor einem sich küssenden Paar stehen bleibt. Es handelt sich um eine seltsame Geste, in der er langsam und suchend, fast ohne sich dessen bewusst zu sein, seine Brust berührt, in einer Art, als ob er sich in einer anderen Welt befände. In der ersten Szene ereignet sich die Geste als eine Spiegelung von Helens Bewegung, als sie die Brosche hin- und herbewegt, um zu prüfen, wo sie passen könnte (und genau mitten in dieser Szene fragt er sie seltsamerweise, ob sie noch Milch wolle). Es handelt sich um eine Geste, die die Brust miteinbezieht, das Gefühl und eine zaghafte Beziehung zu anderen, eine Geste, die uns auf das Wenige an Mark Lewis hinweist, was sich außerhalb .seiner zwanghaften und fast psychotischen Perversion befindet
Deshalb nimmt Helen einen besondern Platz ein. Er riskiert, sie beim Fotografieren zu töten, und dieses Risiko kann er nicht eingehen. Nicht deshalb, weil sie in einem schwachen Zusammenhang mit vagen Erinnerungen an seine Mutter steht, sondern weil sich all diese Erinnerungen in etwas Neuem verkörpert haben. Der romantische Wunsch entsteht nicht direkt aus diesen Bindungen, sondern aus einer Identifizierung mit Helen – einer Identifizierung, die Mark Lewis’ Ich begründet. Dies ist jene Art von Identifizierung, die mit jemandem zusammenhängt, der dasselbe Problem des Begehrens hat wie man selbst. Wahr ist dies hier insofern, als der Andere in beiden Fällen abwesend ist. Helen und ihre Mutter, zwei Frauen und die Abwesenheit des Vaters einerseits und andererseits Mark Lewis und sein Vater, zwei Männer ohne Mutter
Die Art und Weise, wie der Film diese begründende Identifizierung des Ich vermittelt, geschieht dadurch, dass Helen am Schnittpunkt des Imaginären und des Symbolischen situiert ist. Helen nimmt die Position des Verlangens ein, zunächst des Verlangens nach einem Geschenk, dann nach einer Erklärung seiner Filme aus der Kindheit und ebenfalls des Verlangens nach Hilfe für Fotografien für das Kinderbuch, das sie geschrieben hat. Sie ist neugierig und voller Fragen zu Marks Person. Das ist ein geeigneter Ort, in dem sich Imaginäres und Symbolisches überschneiden könnten: der Ort, an dem Mark Lewis den Versuch wagen könnte, seine Geschichte zu erzählen, und sich dadurch in sein Ich-Ideal – den Ort seiner Kamera – und in den anderen Ort . . .aufspalten könnte, wo sein entstehendes Ich erblühen könnte
So gesehen steht Helen für die Normalität, die Befreiung aus der fortwährenden Wiederholung seines Szenariums, für den Frieden, nach dem sich Mark Lewis sehnt. Er riskiert, sie zu töten, wenn er sie fotografiert. Das, so können wir nun erkennen, wäre zugleich auch der Verlust dieses Wenigen seiner selbst, das er durch sie für sich selbst entlang der perversen Struktur aufgebaut hat. Trotzdem ist das Vorhaben der Dokumentation nicht verschoben. Eher macht die Wirkung der Begegnung mit Helen die Aufgabe dringlich, die Dokumentation abzuschließen. Das bleibt der einzige Weg, auf dem Mark Lewis sich vorstellen kann, Frieden zu finden. Daher müssen wir festhalten, dass Helen nicht der Ort von Mark Lewis’ Begehren darstellt. Sein Begehren verbleibt woanders; es bleibt eng verbunden mit der Kamera und mit der Furcht, [beide] seine Meister-Signifikanten. Helen gibt ihm nach dem Abendessen einen Gutenachtkuss; er steht da, schließt die Augen und hebt langsam die Kamera, bis die Linse seine Lippen berührt... Helen küsst Mark; .Mark Lewis küsst die Kamera
Was ist mit dem Zuschauer in all dem? Diese Szenen mit Helen bewirken in ganz anderer Weise die Vereinnahmung des Zuschauers in einem Spiel des perversen Blicks. Sie schließen Helen beim Beobachten der Filme, die Marks Vater gedreht hat, ein, und dieses Mal ist es Helens voyeuristische Lust und ihr eigenes Zurückschrecken davor, das den Zuschauer miteinbezieht. Wenn wir den Vater sehen, wie er seinem Sohn eine Kamera übergibt, hat Reynold Humphries darauf hingewiesen, dass
"das Kind sofort beginnt, jene zu filmen, die es filmen, d.h. es richtet die Kamera auf ihre Kamera, allgemein: auf die Kamera der énonciation – auf Helen, auf uns. Für sie ist das zuviel, und sie bittet Mark, den Film anzuhalten. Ihr ist ihr eigener voyeuristischer Status sogar viel klarer als dort, wo er mit seiner Kamera Vorbereitungen trifft, um sie zu filmen. Jetzt macht die Leinwand, was sie nicht tun sollte: Sie schaut auf sie/auf uns zurück und gibt [ihren/unseren Blick zurück..." [7
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Das heißt, dass das Objekt Blick verfällt. Der Mechanismus, der dies hervorruft, ist eine der zahlreichen Weisen, mit denen Michael Powell uns eine bestimmte Aufmerksamkeit als Zuschauer abnötigt, eine Nötigung, die den ganzen Film über andauert. Während sich diese Aufmerksamkeit auf die Trennung vom Objekt bezieht, ist ein letzter Eingriff in die Abfolge perverser Blicke notwendig, und Helen wird es sein, die in der Handlung bei der .entscheidenden Intervention im Film eine Rolle spielen wird
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Wenn Helen der Grund ist, der zur Vervollständigung der Dokumentation antreibt, so ist ihre blinde Mutter diejenige, die Mark Lewis zur endgültigen Bestimmung der suizidalen Form dieser Vervollständigung veranlasst. Diese Mutter könnte selbst Furcht einflössen und sicherlich ruft sie in Mark Lewis Panik hervor; es gibt hierzu zwei unheimliche Szenen, die ich kommentieren möchte. Die erste ist ihre erste Begegnung mit Mark Lewis, als er Helen zum Abendessen abholt. Ich sage 'unheimlich', weil, wenn wir uns dabei länger aufhalten, wir uns beim Aufenthaltsort von Mark Lewis aufhalten, dem er sich entfremdet hat, an dem er sich aber immer noch aufhält. Es ist das Unheimliche der mütterlichen Präsenz, re-präsentiert innerhalb seines Irren-Hauses, seiner "Hexenküche". Es lohnt sich, bei den Eröffnungsmomenten der Szene zu verweilen, die Powell mit größter Sorgfalt arrangiert hat. Wir sehen Mark Lewis’ Gesicht im Treppenhaus und wir werden fast gewahr, wie ein Schleier vor der Kamera zur rechten oberen Seite der Leinwand weggezogen wird, wodurch zunächst die Mutter in der Mitte auf dem Sofa links unten auf der Leinwand enthüllt wird und dann der rechts davon stehende Mark Lewis. Wenn man diese Szene in Zeitlupe betrachtet, so enthüllt sich etwas ziemlich Interessantes: Was wir durch den Schleier sehen, ist Mark Lewis’ Gesicht im Treppenhaus und darübergeblendet das Bild der Mutter, die auf dem Sofa im Wohnzimmer sitzt. Das ist erstaunlich; es ist tatsächlich da und man kann es in Echtzeit kaum erkennen. Darauf folgen Händeschütteln und, als sie seine Hand hält, beschleunigte Herztöne auf der Tonspur, die auch dann noch weiterertönen, wenn sie seine Hand loslässt. Vor dem Weggehen schaut er nochmals auf ihren Hinterkopf und weiß, dass sie weiß, dass er sie ansieht. .Sie verwirrt ihn tief, doch gesehen haben wir immer noch nichts
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In seiner Projektionskammer betrachtet Mark Lewis den Film vom zweiten Mord, dem von Viv; er hört ein Geräusch, schaltet den Lichtstrahler ein und entdeckt, wie die blinde Mutter, sozusagen dreibeinig mit ihrem Stock gegen die Wand läuft. Diese provozierende Gegenwart innerhalb seines Allerheiligsten ist eine Drohung. Vor dieser durch ihre Blindheit kastrierten, aber dennoch mit einer Waffe mit spitzem Ende gerüsteten Frau wird Mark Lewis von Panik ergriffen. Das ist nur allzu offenkundig. Doch was können wir über den Blick sagen? Es ist zu einfach, wenn man sagt, dass die Blinde nicht sehen kann. Was aus der Mutter eine Entsetzen verbreitende Gestalt macht, ist die Tatsache, dass sie ebenfalls für das Objekt Blick steht. Denn der Perverse sucht nicht den Blick. Das Ziel des Perversen ist es, Sehen und Blick zusammenfallen zu lassen; hier haben wir anstelle der blinden Frau als Blick den Blick, von dem das Schauen subtrahiert ist. Der Blick ist nicht in den Andern eingeschlossen; der Blick verfällt dort. Das ist natürlich .der Lacan’sche Gedanke der Trennung
Nun aber bleibt der Zuschauer nicht unberührt von dieser Frau, die für Kastration und Verfallen des Blickes steht. Sie unterbricht dadurch unser Begehren zu sehen, was Mark Lewis sehen möchte, so dass sie für uns ebenso eine Bedrohung darstellt wie für Mark Lewis. Innerhalb oder außerhalb der perversen Struktur sind auch wir von Kastration und dadurch, dass Sehen und Blick nicht zusammenfallen, bedroht. Für gewöhnlich ist, wie Lacan in Seminar XI anmerkt[8], der Blick das Objekt, das sich am vollständigsten der Kastration entzieht. Hier aber enthüllt die Trennung .des Blicks die Kastration
Diese Frau weiß und «sieht »
Aber auch dem Zuschauer misslingt dieser Test, allerdings nicht aus denselben Gründen. Erinnern wir uns: Wir haben soeben gesehen, wie Mark Lewis die blinde Frau in sein «Kino »
Ich kann mein Beispiel nur an Lacans Begriff vom Verfallen des Blicks entwickeln, das dieser anhand von Holbeins Die Gesandten illustriert[9]. Er tut dies, indem er das anamorphotische Moment betrachtet, das einen flüchtigen Blick auf die Realität jenseits der Illusion der Malerei erlaubt. Wenn man sich von dieser bildlichen Darstellung des diplomatischen Erfolgs abwendet, so nimmt die seltsame Figur im Vordergrund plötzlich die Gestalt eines Totenschädels an, der uns an die Sterblichkeit erinnert. Das Gemälde wird gezeigt als bloßer Signifikant; für einen Augenblick lang hindert es [uns] daran, der Kastration zu entkommen. Für Lacan stellt die Anamorphose immer eine gewisse Streckung und Verzerrung dar, doch ich habe anderswo darauf hingewiesen, dass Lacans Idee der Anamorphose von der Metapher des Phallus bestimmt wird, die in übertriebener Weise die Bedingungen einschränkt, unter denen die Realität jenseits des Signifikanten angezeigt wird[10]. Hier stellt sich die Frage nach irgendeiner perspektivischen Verzerrung nicht und dennoch verfällt der Blick, die Trennung des Blicks enthüllt für uns die Kastration
Das, was wir daraus lernen, gilt jedoch nicht für Mark Lewis. Nachdem es ihm wieder einmal nicht gelungen ist, das Szenarium des Mordes dokumentarisch zu erfassen, gerät er in Panik und schnappt nach der sich bietenden Gelegenheit zu filmen, diesmal natürlich die Mutter. Er fängt an und zieht das Stilett heraus, doch es funktioniert nicht. Er kann diese Frau nicht in seinem exhibitionistischen Szenarium unterbringen; ihre Blindheit widersetzt sich der Einbindung in die Dokumentation, die er dauernd zu vervollständigen sucht. In ihrem Falle ist das Licht immer schon ausgegangen. Gewiss hat sie Angst, doch er kann eine Blinde nicht dazu bringen, ihr eigenes Entsetzen zu sehen. Wie kann er den Schrecken steigern und die endgültige Spaltung ohne eine Reaktion auf seinem entstellenden Reflektor hervorbringen? Sie wird immer die unvollkommene Andere sein, die nicht durch das Objekt besetzt ist. Das bezeichnet den Moment, in dem er erkennt, dass alle zukünftigen Gelegenheiten schließlich scheitern werden. Man könnte sagen, dass er erkennt, dass das Objekt nicht realisiert werden wird, dass das Genießen des Anderen nicht garantiert werden kann. Als die Mutter weggeht, spricht sie von «Instinkt »
Was folgt daraus? Mark Lewis versucht, die Mutter zu filmen und zu töten – «Es ist für Helen »
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Mutter und Tochter haben die Logik der Blicke unterbrochen, die für uns durch die Morde vorherrschend war; die beiden haben in der Handlung die Funktion, die finale Suizidszene zu beschleunigen. Was ist also mit Mark Lewis? Unterscheidet sich sein letzter Akt von den vorausgehenden? Kann er die Mordkette, die endlosen Serien versäumter «Gelegenheiten »
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Lassen Sie mich meine These formulieren: Es gibt hier kein Drama der Trennung vom Objekt, sondern nur die Bewegung des acting-out, die durch sich selbst nichts verändert, sondern die die Trennung tatsächlich vollendet. Mark Lewis entzieht sich dem Dilemma nicht dadurch, dass er die Hoffnung auf das nächste Mal, bei dem es funktionieren wird, aufgibt. Er versichert sich nur dessen, dass das nächste Mal das letzte Mal sein wird; das letzte Mal als das nächste Mal, in dem das gelingt. Es gibt nun im acting-out, wie es in der Analyse verstanden wird, eine besondere Beziehung zum Objekt. Es ist zu ein und derselben Zeit ein acting out, draußen, – außerhalb der analytischen Szene und ein acting für den Anderen, den Analytiker. Etwas im Diskurs des Analytikers treibt den Analysanden zum acting-out. Wenn es einen Bruch im Diskurs des Analytikers gibt, dann ist er nicht mehr als Analytiker vorhanden, und wir erhalten das, was Lacan in seinem Seminar «Die Angst »
Lacan erarbeitet das Konzept anhand eines Mannes – eines Patienten von Ernst Kris –, der denkt, er sei ein Plagiator. Kris liest dessen Buch und versichert ihm, dass er keiner sei, doch der Patient geht geradewegs ins Restaurant, um kaltes Hirn zu essen, und kehrt zurück, um seinem Analytiker darüber zu berichten. Das ist ein Stück acting-out, direkt an den Anderen gerichtet, das im Realen Platz nimmt, und das erst an zweiter Stelle in Sprache formuliert wird. Das einzige, was ich hier hervorheben möchte, ist die Tatsache, dass Lacan dies als einen Kommentar des Patienten auf die Wirkung dessen liest, dass alles, was Kris sagt, wahr sei, aber den Kern nicht trifft; denn was ihn, den Patienten, betrifft, ist kaltes Hirn der Rest, das Objekt klein a. Acting-out kann die Gestalt, seinen Analytiker zu riechen, annehmen. Lacan spielt auf den Geruch (l’odeur) als Objekt an. Das, was passiert, wenn .man seinen Analytiker riecht, ist ein acting-out, denn der Andere riecht .nicht Die Frage, ob Mark Lewis nun in der Suizidszene ein acting-out hat oder nicht, ist sehr komplex. Man könnte argumentieren, dass alle perversen Szenarien acting-outs sind und dass Mark Lewis’ letztes Szenarium sich von all den anderen nicht wesentlich unterscheidet. Gewiss kann das acting-out eine Unmenge vorübergehender Perversionen produzieren. Das acting-out in der Analyse besitzt weitgehend Ähnlichkeit mit einer Perversion, nicht nur in der Beziehung zum Objekt, sondern auch in der Beziehung zum Wissen. J.-A. Miller spricht in seinem unveröffentlichten Seminar «Extimität»
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Der Diskurs ist kurzgeschlossen, wenn der Analysand versucht, das Objekt unmittelbar, also in der Realität, zu erhalten, ohne irgendeinen Bezug zum Wissen (S1 und S2). Deshalb ist das acting-out per definitionem ein acting-out außerhalb des Wissens und involviert ein reales Objekts. Der Unterschied zur Analyse besteht darin, dass, obgleich auch sie ein Objekt als real involviert, man es mit Wissen zu tun hat, und daher steht das Objekt in einer Beziehung zum Wissen. Dieser Unterschied bedeutet, dass es in der Analyse einen Objektverlust und im acting-out eine Verfestigung des bouchon, des Korkens, gibt, denn das Objekt in der Lacan’schen Theorie ist beides, das Loch und das, was es verstopft.
Der Perverse hat auch den Schirm des Wissens [S1 und S2] durchbrochen, und das recht beständig. Denn die Verleugnung, die – wie Freud gezeigt hat – im Zentrum jeder Perversion steht, ist nicht allein diejenige, dass die Mutter nicht den Penis besitzt. Es ist auch eine Verleugnung des Mangels an Wissen, der dem Blick auf diese Abwesenheit vorausgeht. Jean Clavreul hat dies sorgfältig in seinem Artikel Das perverse Paar[14] herausgearbeitet. Er macht geltend, dass an erster Stelle ein Mangel an Wissen das Kind dazu bringt zu schauen; der Mangel an Wissen als Ursache des skopophilen Triebs. Was verleugnet wird ist die Tatsache, dass das Kind nicht wusste und wissen wollte. Das heißt andererseits, dass der Vater nicht als derjenige anerkannt wird, der das Wissen vor dem Kind besitzt. Auf diese Art besetzt der Perverse die Position desjenigen, der niemals wieder seines Wissens beraubt werden wird, insbesondere des Wissens über Erotik. Dann, so sagt Clavreul, "fühlt sich dieses Wissen über Erotik sicher darin, das [Genießen des anderen unter allen Umständen zu bekommen."[15
Wir haben schon oben gesehen, dass das, was der Perverse sucht, ein Auge ist, das ihm ein Komplize ist, das ein blindes Auge zu dem, was geschieht, lenkt, das fasziniert und verführt bleiben möchte. Das wird genau durch den Kurzschluss in der Wissensdimension möglich, die mit dem Anderen .koordiniert wird
Daher ist der Perverse in gewisser Weise und immer schon am Platz des Analysanden, der sein acting-out außerhalb des Anderen vollführt – und noch dazu für den Anderen. Das letzte Szenarium unterscheidet sich in nichts von den anderen darin, ein Stück acting-out zu sein. Mark Lewis bleibt ein Perverser bis zu seinem tödlichen Ende. Wenn irgendetwas das Schlussbild kennzeichnet, so muss dies die Differenz zum acting-out sein. Wenn nun die Suizidszene ein reines acting-out ist, so ist die Szene mit Helen, die unmittelbar vorausgeht, davon völlig verschieden. Sie ist die Enthüllung des verzerrenden Spiegels, nicht nur für Helen, sondern erstmalig auch für uns. Helen hat etwas in Mark Lewis verändert, und zwar bezüglich dessen, wie er sich seine Beziehung zum Wissen wünscht. Mark Lewis ist verdammt, und dennoch gibt es da etwas in seinem Leben, das er außerhalb davon zu bewahren fertig brachte. In dieser Szene, an der Grenze der Versuchung, sogar während er gerade die Werkzeuge seines Genießens benutzt, sucht Mark Lewis nicht die Komplizenschaft von Helen. Sie besitzt ein Auge, das er nicht zu faszinieren und zu verführen wünscht. Er erzählt sein Geheimnis des Perversen und er weiß, dass sie nicht mit einem blinden Auge [zu]sehen/[zu]schauen wird. Es gibt für Helen keine Bedrohung in dieser Szene, als er ihr das Stilett an die Kehle setzt. Er erzählt nur seine Geschichte auf jene einzige Art, derer er fähig ist – stoßweise und weitgehend in Bildern und Aktionen; dennoch ist es ein Erzählen der Art, wie die blinde Mutter es von ihm erbeten hat. Deshalb ist er – über den Dokumentarfilm hinaus, den er gerade vervollständigen will – im Begriff, eine Geschichte zu hinterlassen. Schade daran ist nur, dass das in keiner Weise seine eigene Verleugnung des Wissens vermindert. Sein acting-out bleibt ohne Rückfahrkarte, ohne Rückweg zum Symbolischen. Wenn Mark Lewis vielleicht nun etwas Neues weiß, so ist es die Tatsache, dass sein Dokumentarfilm niemals eine Rückfahrkarte zum Symbolischen werden kann. Das Eingreifen der Frau bedeutet, dass sein Akt, das Töten, nur ein Aufschub seines Schicksals ist. Daher macht er sich auf, seiner Lösung, seinem Tode, zu begegnen und damit zugleich auch seinem Erzeuger, seinem Vater. Als die Leinwand sich verdunkelt, sagt ein ."Stimmchen: "Gute Nacht, Papi, halt meine Hand fest
Dies sind die letzten Worte des Films; meine aber müssen Helen und ihrem Anteil an der Szene gewidmet sein, in der er ihr seine Geschichte erzählt und sie mit ihrem eigenen verzerrten Spiegelbild konfrontiert. Natürlich überlebt sie die Kastration. Der Spiegel ist wie das Medusenhaupt, und obgleich ihn Helen ansehen muss, wendet sie dann ihren Kopf ab. Die Faszination des Bildes misslingt; Helen wird nicht versteinert. Weder ist sie starr vor Entsetzen noch vor Lust. Sie wird nicht zum Partner des Perversen, sondern es gelingt ihr eine Trennung vom perversen Szenarium. Die Art und Weise, wie dies erreicht wird, bedeutet ebenfalls, dass wir als Zuschauer von Mark Lewis’ Szenarium befreit werden. Noch einmal geschieht das durch das Verfallen des Objekts. Helen erwartet Mark in seiner Dunkelkammer; neugierig wie sie ist, schaltet sie den Projektor ein. Was sie anschaut, erkennen wir daran, dass ihr Gesicht zunächst Unglauben, dann helles Entsetzen und schließlich schockartige Furcht ausdrückt. Mark Lewis kommt herein und will ihre Furcht nicht sehen. Aufgewühlt wendet er sich einem Tisch voller Tonbänder zu, um ihre Neugierde mit seinem Schreien und Stöhnen als Fünf- oder Siebenjährigem zu befriedigen... Dies ist das erste Mal, dass auf den Ton hingewiesen wird, der das Dokumentarmaterial seines Vaters ergänzt. Und daraufhin erzählt er Helen, dass alle Räume im Haus mit Abhöranlagen versehen waren und dies noch immer sind. Auf ihr Drängen hin zeigt er ihr dann das Geheimnis seines Szenariums – nicht bloß das Stilett, sondern auch den konkaven Reflektor, in dem wir deutlich Helens grotesk verzerrtes Bild sehen [Bild 2]. Und gleichzeitig hören wir einen entsetzlichen Schrei, so wie ihn sein erstes Opfer ausgestoßen hatte. Doch Helen bleibt stumm und der Schrei ertönt von neuem als Ausdruck seines eigenen Entsetzens während der Kindheit in den «wissenschaftlichen»
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Parveen Adams lehrt Psychoanalyse am Department of Human Sciences an der Brunel-Universität (Großbritannien). Sie war Mitbegründerin und von 1978 bis 1986 Mitherausgeberin der bedeutenden psychoanalytischen feministischen Zeitschrift m/f.
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