Manfred Riedel: Geheimes Deutschland
Stefan George und die Brüder Stauffenberg, Böhlau 2006
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Es bleibt vorerst ein Geheimnis des kalten Krieges, warum einer der bedeutendsten und im ersten Drittel auch bekanntesten Dichter im 20. Jahrhundert, nämlich Stefan George, nach dem 2. Weltkrieg, so gut wie keine Rolle mehr spielen durfte. Und das, obschon er sich gar nicht in die Hitlerei verstrickt hat. Landmann berichtet, George habe lange vor 1933 einmal klar vorhergesagt:
„ Wenn der Nationalsozialismus zur Macht komme, so hatte George Anfang der 30er Jahre prophezeit, werde in Deutschland jeder mit einer Schlinge um den Hals herumlaufen, um ihn aufknüpfen zu können; und wer das nicht wolle, werde gleich aufgehängt. „
Doch man tat ihn ab als elitären, antimodernen Priesterdichter, der zwar nicht mit nationalsozialistischen Kreisen, wohl aber mit erzkonservativen Kräften des Präfaschismus paktiert habe. Man verschweigt, dass im Dichterkreis Stefan Georges viele Juden mit den gebildetsten Deutschen in Freundschaft und Harmonie lebten ohne antisemitische Ausfälle, und also ein Parademodell der deutsch- jüdischen Kultursymbiose darstellten.
Das gilt zumindest durchgängig bis zur Machtergreifung des braunen Mobs.
Auch die Widerständler, allen voran die Stauffenbergs, waren mit der Dichtung Georges nicht nur bestens vertraut, sie existierten geistig aus ihrem „Born“, wie man in Georges Vokabular sagen kann.
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Stauffenberg-George-Kreis
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Zu all diesen Themen und insbesondere zur Utopie eines geheimen Deutschland legte nun nicht etwa ein gelehrter Germanist, sondern der Philosoph Manfred Riedel eine grundlegende, äußerst lesenswerte Studie vor.
Sie zeigt Georges Denkweg, seinen Kreis und die Auffassung der Dichtung, wie der Dichter sie entfaltete. Riedel schreibt:
„ Dichtung ist höchste Tat, wenn ihr Schönes im Leben wiederzuerzeugen gelingt. Schönstes Werk aber, so Georges Hölderlin-Vision (..) wäre die Erzeugung eines dichterisch beseelten Menschenkreises, woraus einmal als Täter der Mann, der hilft, hervorgehen könnte.! “
In diesem Wort steckt der Keim zum Widerstand gegen das Hitlerregime, das zeigt Riedel nun Schritt für Schritt auf. Hölderlins Gedanken sind für den Georgekreis ganz zentral, die Furcht vor „ einer gänzlichen Umkehrung alles geschichtlich Überlieferten ohne jeden Halt, die dem Menschen als erkennendem Wesen unerlaubt“, bereitet George und die Seinen auf den bevorstehenden Barbarensturm vor und gälte heute noch, wenn man noch einmal umkehren wollte. Hier, an dieser tabuisierten Bruchstelle, stellt das Buch Riedels neue, peinliche Fragen. Denn nicht das deutsche Vaterland, nein das europäische Deutschland, George war ein kenntnisreicher Europäer, wie es heute keinen gibt, stünde auf dem Spiel, wenn man sich als Europa nicht mit der einheitlichen Amerikanisierung des alten Kontinents begnügen wollte. Mit George wäre alles noch einmal neu zu ergründen: „ Eine neue Zeit wird nicht aus einem einzelnen Volk, sondern aus den primitiver gebliebenen Schichten verschiedener Völker aufbauen. Der Bauer der Abruzzen und der Campagna, deutsche und französische Bauern, dann viele Elemente der Balkanvölker stellen eine Primitivität dar, die trotz aller Durchkultivierung der betreffenden Länder nicht gewichen und der Hort des wahren Anfangs ist.“
Solche Spekulation klingt heute befremdlich, doch erspüren wir noch am Fremden das einst Eigene, das wir in der Sprache verloren haben. Das reicht bis in die kleinste Versfügung hinein, dass wir –nach einem Wort Adornos- in Georges Dichtung eine Zeit wieder erinnern, die uns nie gekannt hat. Klingt paradox und ist doch deutlich, wenn wir uns im Stande fühlen, Georges Sprache heute als unzeitgemäße aber doch als ein echteres Deutsch zu erkennen als das, was uns die Medien als Reste davon übrig ließen.
Die Beschäftigung mit der Dichtung Stefan Georges muss gewiss viele politisch unkorrekte Sperrbezirke durchqueren, auf antidemokratische, massenfeindliche
Gedanken vorbereitet sein. Doch der Reichtum an Wendungen, Sprüchen und Winken ist die Anstrengung wert.
Dass es am Ende nicht reichte mit George, der die Attentäter inspirierte, gegen Hitler zu siegen, ist tragisch und potenzieller Gegenstand der Tragödie, die leider noch keiner geschrieben hat.