یکشنبه
:Peter Zwey

“Adonis „Ein Grab für New York
Gedichte 1965-1971
Ammann Verlag 2004 EUR 24.90


Der syrische Dichter Adonis, der seit langem in Paris
:lebt, sagte in den Sommer 2004 im Lettre-Heft 65
Die westliche Lyrik ist an ihr Ende gelangt, man muß„
sie nicht mehr lesen.“ Die westliche Lyrik sei eine rein kulturbetriebliche
.Angelegenheit geworden, sie wurzle nicht mehr im Existentiellen
Gewiß, eine provokative Äußerung, die indes ihre volle Wucht und Evidenz erst entfaltet, wenn man den Band des Dichters aufschlägt, der bei Ammann herauskam in der Übersetzung von Stefan Weidner. Schon der erste Band mit den Gesängen Mihyars, 1998 zum ersten mal auf deutsch erschienen, - geschrieben allerdings schon viel früher, nämlich zwischen 1958 und 1965,- schon diese Gedichte öffneten uns mit einem Schlage wieder alle 17 Ursprungs-Sinne für die Wahrnehmung der Poesie. Sie zeigten uns auch, wie schmerzlich weit wir von allen Ufern der wahren Poesie inzwischen abgetrieben wurden. Wie wenig unsere Lyrik noch von jenem Sein spricht, das Friedrich Hölderlin, den Adonis übrigens sehr gut kennt, als das Offene bezeichnet hat. Wie wenig wir noch an den ganz anderen, absoluten Geist der Dichtung glauben und statt dessen lieber unseren virtuosen Schriftstellern und
. Rationalisten mit ihrer wortreichen Prosa folgen

Das Programm des Adonis ist viel gewaltiger, emphatischer und anspruchsvoller als das, was bei uns heute landläufig unter Lyrik - auch im guten Sinne verstanden - produziert wird. Er geht aufs Ganze. Er dient nicht der schiefen Weltordnung mit letzten, schönen Abschieds-Worten. Er stellt nach einem Wort des Karl Kraus das Chaos der Schöpfungs-Frühe wieder
:her

Ich werde auf einer Welle reisen, auf einem Flügel „
Ich werde die Zeiten besuchen, die uns verließen
Und den ätherischen siebten Himmel
Die Lippen besuchen
Die Augen voller Eis, die bleckende Klinge
In Gottes Hölle

Ich werde verschwinden, meine Brust festschnüren
Und mit dem Wind verbinden
Werde meine Schritte lassen fern am Scheideweg
“.Im Labyrinth

Diese Verse willfahren keiner diskursiven Logik und keiner ideologischen Weltanschauung. Es gehen ihnen keine erkenntnishaften Vorgaben wie
.Psychoanalyse oder Marxismus, Liberalismus und dergleichen voraus
Diese Verse argumentieren oder begründen mit keiner Faser ihrer taufrischen Lebendigkeit. Sie bilden selbst einen Grund. Sie schauen frei und rückhaltlos ins Höhlen- und Wunderreich der Möglichkeiten. Sie erkennen das Wirkliche darin frei und neu an. Sie narren die erstarrte greise Vernunft und geben ihr Rätsel auf, wie sie sich die „bleckende Klinge in Gottes Hölle“ vorstellen kann. Und falls die Logik einwenden wollte, daß Scheidewege im Labyrinth ja doch einen Widerspruch darstellten, antwortet der mythische Dichter ihr keinesfalls. Denn was bedeuten ihm schon logische Widersprüche? Weniger als Kieselsteine. Außerdem geht der Mythos dem Logos voran. Die Umkehrung dieser Geschichte ist eine zähe, lederne Prosa-Legende. Denn der Triumph des Fortschritts breitet sich längst als geistige Sklerose in
.unserem Leben aus
Adonis steckt uns Lichter auf darüber, wie arm wir geworden sind, welchen Preis wir bezahlen für unsere profitable, technische Intelligenz, die uns blind und stumpf werden ließ im Zaubergarten der Dichtung; wie sehr wir uns von Schul-Begriffen leiten lassen, statt vom „beweglichen Heer der Metaphern“ wie schon Nietzsche uns riet. Einen solchen Nietzsche braucht der Orient, sagt Adonis, so wie wir diesen Dichter Adonis brauchen, der uns zu einem neuen Fest einlädt, der uns das Vertrauen zu unseren
.Dichtern zurückbringt

In dem Band, der mehrere Zyklen aus den Jahren 1965 –1971 vereinigt, und der den Titel eines dieser Gedicht-Zyklen trägt: „Ein Grab für New York“, werden wir noch radikaler dazu verführt, sämtliche Kategorien, die uns in den letzten Nachkriegs-Jahrzehnten von namhaften Schriftstellern und Kritikern eingebleut wurden, in den Wind zu schlagen; - um der Stimme des orientalischen Dichters zu folgen, z.B. im Gedicht „Spiegel der Zeit“ aus dem
“:Zyklus: „Die zerbrochene Zeit
-
Ich lade dich ein, denn meine Tage sind ohne Wächter
Und diese öde Weite
Ist ein Gastmahl für den Traum
Das Fest seiner fruchtbaren Bäume
Der Sehnsucht Fest
Ich lade dich ein, daran teilzunehmen
Der Mast der Sorgen ist errichtet
Ach, würde er doch ruhen, würde er sich beugen
Wie der Zweig in den versteckten Winden
Hier ist der Krug eine Klage
Oder eine Blume
Und der Tee ist eine Fontäne
Ich lade dich ein zuzuhören, diesem Echo zu lauschen
Es bringt uns einen geknickten Grashalm
Die Zeit geht unter, die Sehnsucht
Trägt unsere Kleider
Und der Rauch
Der unsere Wimpern einhüllt
Steigt auf aus einem alten Kuppelgrab
.Aus einem Juwel

Die Souveränität solcher absoluten Bildersprache, die keiner Prothesen, keiner Wächter und Hilfsmittel des gezähmten Haus-Verstandes bedarf, haben wir zuletzt bei Novalis und Hölderlin gehört. Stefan George, Rilke und Hofmannsthal setzten solch kühnes Verlangen auf ihre Programme, doch sie erfüllten es kaum mehr. Wir spüren in diesen Versen den großen Sinn, das große Ja auf, eine vergessene Sage, die wir brauchen wie das tägliche Brot. Aber wir fühlen uns auch schwach und hilflos diesen Bildern gegenüber, haben keine Instrumente, mittels derer wir uns über sie erheben, sie auslegen und darin unsere alten Rechte wiederfinden könnten. Es sei denn die Rechte und Kräfte anarchischer, freiester Fantasie. - Wir schämen uns fast eines Erlebnisses, das wir nur lallend wiedergeben könnten, oder eben
“ .repetierend. Denn „die Sehnsucht / Trägt unsere Kleider
Wir ahnen die Wahrheit, können sie aber nicht begreifen. Das ist die Wirkung der Dichtung, sie entmächtigt uns, beraubt uns unserer Waffen aus lauter Schein und Trug. Sie befreit uns von unserem Irrglauben der Kausalität, entrückt uns den banalen Tautologien des common sense. Sie ist ein „Gastmahl für den Traum. Ein Fest der fruchtbaren Bäume“. Dieser Dichter hebt das politische Verbot, über Bäume reden zu dürfen in garstiger Zeit, achselzuckend, fröhlich und spielerisch auf. Denn was liegt an irgendeiner Zeit, ist Zeit nicht überhaupt Fundament aller Verblendung? So klar spricht
“:Adonis im „Kapitel der Spiegel“ über den „für das zwanzigste Jahrhundert
-
Ein Sarg
In das Antlitz eines Kindes gekleidet
Ein Buch
In die Eingeweide eines Raben geschrieben
Eine Bestie
Die eine Blume bringt
Ein Felsen
Der in den Lungen eines Verrückten atmet
Das
.Das ist das zwanzigste Jahrhundert

Als ob ein Vorhang vor den müden Augen weggerissen worden wäre, steht hier alles deutlich und unverrückbar fest im Text, wie auf einer plötzlich
.enthüllten Tabula rasa
Aber ahnten wir es nicht immer, daß all der Bramarbas der Historiker, Schul-Philosophen, Pädagogen und politischen Strategen, - um von den Ideologen gar nicht zu reden ,- eines Tages beschämt würde von den lapidaren Worten und Bildern eines Dichters, der wahr sprechen kann statt zuviel, immerzu viel zuviel. „ Kein Wort das traf“, als jene Welt nur immerzu beredet wurde und
.beredet
Eine Bestie / Die eine Blume bringt“, welches Bild wäre treffender für die„
?Angst und die Scham, die unser Dasein würgt bis heute

Der Dichter ist der wahre Philosoph, er ist es, der die Zeitungen auswringt, aus ihnen das schwarze Löschwasser der Lügen und der Niedertracht in den Orkus New Yorks hinabschickt. Doch New York ist eine Rache, eine Lust aus Gift und eine Qual der Künste. Der Dichter ruft Walt Whitman an, den Dichter Amerikas „du bist nur noch ein Kopfschmuck, den Vögel tragen, die Amerikas Himmel nicht kennt.“ Er sieht den Dichter Whitman nicht mehr in New York, „nicht in Manhattan, obwohl ich alles sah. Der Mond ist eine Schale, die aus dem Fenster geworfen wird, und die Sonne eine elektronische Orange.“ Der Himmel, die Natur ein Close up, wie unwirklich scheint alles im
.Abfall dieser Stadt

„Die Muscheln nisten in den Wogen der Geschichte. Der Baum kennt seinen Namen. In der Haut der Welt gibt es Löcher, es gibt eine Sonne, die die
“.Maske und das Ende verändert und im Auge eines Schwarzen weint

Diese durch und durch dichterische Prosa, die näher an die Litanei des Seins angrenzt als daß sie einem modernen Roman verwandt sein möchte, verkündet kein Lob der Times über New York, diese megärenhafteste
.Mega-Stadt aller Städte
New York ist ein Felsblock, der über die Stirne der Welt rollt. Seine Stimme„
ist in deinem und meinem Kleid, seine Kohle schwärzt meine und deine
“...Glieder
So sprechen wir die verblüffenden Worte dieser Stimme nach und gelangen dabei in den Lichter-Garten der Poesie. Und auch ins New York unserer inneren Gebrechen und Sensationen. Wir verstehen oft soviel wie die Blinden sehen am Tag. Aber indem wir das Wahre immer wieder aufsagen, gelangen wir an einen rhythmischen Silben-Strom, gewinnen wir eine Ahnungsvermögen zurück, das uns tausend und aber-Millionen mal mehr sagt
,als all dies Tabellen-Trallala unserer Quoten- und Tablettenwissenschaft
.welche unsere Tage trübt und verlärmt

Die Poesie des Adonis ist nicht hermetisch, sie öffnet sich jedem, der sich offen hält für sie, der sie deutet ohne den absurden Anspruch, sie
.auszudeuten, zu Ende deuten zu können
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