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?Quo vadis, Žižek
Wie Slavoj Žižek auszog, die Probleme unserer Welt zu lösen
(2003)
Die Lektüre der Žižek’schen Glossen zur Jetztzeit wird beschwerlicher. Es scheint fast, als ob der nach dem Zusammenbruch des jugoslawischen Staates nun endlich „im Westen“ angekommene Philosoph in letzter Zeit sein lacanisch-stalinistisches Pulver hat nass werden lassen und nun auch nicht
. mehr so genau weiß, wo’s lang geht
In einem seiner neueren Elaborate − „Eine sanfte Revolution − Wie der „Krieg gegen den Terror“ die Demokratie untergräbt“ (in LETTRE INTERNATIONAL Nr.61/II/2003, S.17-22) − versucht er allen aktuellen Weltproblemen die Speckschwarte nachzuwerfen. Der Artikel erinnert an eine jener berüchtigten „Kochtopf-Demonstrationen“ der 68-er: Man geht auf die Straße, weil man auf die Straße gehen will (eine kastrierte Form des Existenzialismus und zugleich eine Frühform der „Gesellschaft des Spektakels“) und man sammelt alles, was einem gerade im Kopf herum geht: damals wurden Vietnam, Springer-Medien, Meinungsfreiheit, Notstandsgesetzgebung, fehlende Opposition, Straßenbahntarife und
.Universitätsgesetz einfach zusammengepackt − Effekt ging vor Effizienz
Žižek unverblümt
Sein Artikel beginnt mit einer Eloge auf den US-amerikanischen Irak-Krieg: Er sei allein deswegen richtig, so argumentiert Žižek im Anschluss an Christopher Hitchens, weil man endlich „die Mehrheit der Iraker“ aus ihrem de facto Opfer-Status Saddams befreit habe, die jetzt alle vom Sturz Saddams „profitieren“ [Hervorhebung HPJ] können. Ähnliches gilt für Kuba und galt schon, in der Vergangenheit, für Jugoslawien: „Ich erinnere mich noch genau, wie mir Anfang der neunziger Jahre Dutzende von Linken im Westen stolz entgegenhielten, dass für sie Jugoslawien immer noch existiere, und wie sie mir vorwarfen, die einzige Chance auf den Fortbestand Jugoslawiens zu verraten. Ich entgegnete ihnen seinerzeit immer, dass ich nicht bereit sei, ein ärmliches Leben zu fristen, nur um nicht die Träume westlicher Linker zu zerstören. (…) Es gibt in der Tat nur wenige Dinge, die von größerer Verachtung zeugen, nur wenige Haltungen, die stärker von Ideologie geprägt sind, als ein saturierter linker westlicher Akademiker, der einen Osteuropäer aus einem kommunistischen Land, der sich nach liberaler westlicher Demokratie und einigen Konsumgütern [Hervorhebung HPJ] sehnt, arrogant gering schätzt (oder, was noch schlimmer ist, herablassend «versteht»).“ (17) Aber diese „westlichen Linken“ wollten ja nicht auf ihn hören…, genau so wenig, wie sie heute beim Irakkrieg auf ihn hören wollen. − Hier landet Žižek wieder bei seiner seit einiger Zeit beliebtesten Invektive gegen seine Karikatur westlicher Liberaler und Linker, die − seiner Ansicht nach − offenbar die Zeichen der Zeit der Globalisierung immer noch nicht begriffen haben: „Abstrakter Pazifismus ist intellektuell töricht und moralisch falsch − gegen eine Bedrohung muss man angehen. Natürlich wurde der Sturz Saddams von der großen Mehrheit der Iraker mit Erleichterung aufgenommen. Natürlich hatten all die Gegenargumente, (…) dass «Krieg keine Lösung ist» und so weiter, etwas Heuchlerisches. Und trotzdem hatten diejenigen, die gegen den Krieg waren, ein völlig korrektes «instinktives Gefühl» dafür, dass bei diesem Krieg etwas nicht stimmte (…).“ Und um ja nicht den Segen seines Allerhöchsten auszulassen: „Jacques Lacan machte einmal die ungeheure Aussage, die Eifersucht eines eifersüchtigen Ehemanns sei selbst dann noch pathologisch, wenn sich herausstellte, dass das, was er über seine Frau
.(behauptet (dass sie mit anderen Männern schlafe) zuträfe.“ (Ibid
Was will Žižek uns damit sagen? Sind jene „saturierten linken westlichen Akademiker“ nichts weiter als bloß die Wiederkehr jenes Eifersüchtigen? Und will Žižek endlich ungestört von Gewissensbissen einige der westlichen Konsumgüter genießen, wenigstens ein bisschen vom Kapitalismus
?profitieren, was ihm die missgünstigen Westler vergönnen wollen
?Woran leidet Žižek
Wir wollen dahingestellt lassen, ob das Totschlagargument gegen „alle, die gegen den Krieg waren“ − und es waren mehr und andere als nur die kleine Minderheit von „Pazifisten“, die sich Žižek zum Hauptfeind stilisiert − in dieser platten Verallgemeinerung wirklich trifft, oder ob es sich um nichts weiter handelt als um ein Ressentiment eines der Diktatur Entronnenen, dem nun sein Stampfschritt als Widerhall der Schritte des [Hegelschen] Weltgeistes erscheinen. − Adorno hat in einem ähnlichen Fall sarkastisch bemerkt: was hier zu hören sei, sei vielleicht nichts als das Rasseln der eigenen Ketten (gegen Georg Lukács, der freilich sein Credo aus kommunistischer Warte hat verlauten lassen). − Die Haltung ehemaliger Systemkritiker aus den osteuropäischen oder anderen kommunistischen Staaten erscheint, wenn sie zum westlichen Wirtschafts- und Politiksystem Stellung nehmen, offenbar nur für den Außenstehenden als ‚gewendet’. Für sie selbst ist die vorbehaltlose Lobpreisung des westlichen Kapitalismus nichts als die logische Konsequenz ihrer Kommunismuskritik. Der Schriftsteller Richard Wagner nennt das in einer Glosse in der Frankfurter Rundschau (vom 7. Juni 2003) den „Tellerwäschertraum“. Nicht von ungefähr befinden sich in dem von Rumsfeld so genannten „neuen Europa“, das bedingungslos die USA im Irakkrieg unterstützt, so gut wie alle ehemaligen kommunistischen osteuropäischen Länder − und es bedarf schon einer abgeklärten Ironie, wenn einer wie der polnische Schriftsteller Andrzej Stasiuk eine solche Haltung nur milde belächelt: „Doch einen Trost gibt es in dieser ganzen Geschichte: Eigentlich hat mein Land [sc. Polen] mit Krieg und Okkupation nichts am Hut. Der Irak geht die Polen einen feuchten Kehricht an. Die Regierung könnte ebenso gut Burkina Faso oder den Kapverdischen Inseln den Krieg erklären oder die nächste Reform der staatlichen Finanzen verkünden. Der Effekt wäre ungefähr der gleiche, das heißt, so gut wie keiner. Das Volk übersteht all das mit dem ihm eigenen slawischen Fatalismus, beschäftigt mit seinen eigenen Dingen. Denn das Volk weiß genau, dass auch diese Regierung, wie alle vorhergehenden, einmal abgelöst werden wird. Und die nächste wird, wie das bei uns Tradition ist, ihren Vorgänger so radikal diskreditieren wollen, dass sie aller Wahrscheinlichkeit nach Amerika den Krieg erklären und ein Bündnis mit der Antarktis schließen wird. − Um meine Laune etwas zu heben, habe ich vorhin das Radio eingeschaltet. Und da sagte einer unserer Minister:
Unsere Anwesenheit im Irak ist von großer Bedeutung, denn wir haben»
enorme Erfahrung auf dem Gebiet der Transformation.» Mit diesem optimistischen Akzent möchte ich mich von Ihnen verabschieden. Gute Nacht.“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 08.05.2003, Nr. 106/S.35; es passt zur Haltung der FAZ, wenn sie später eine Karikatur veröffentlicht, die den Generalsekretär der Vereinten Nationen Kofi Annan zeigt, wie er den USA wegen Lügenhaftigkeit den Sieg über den Irak aberkennt und ihn allein
( !Polen zuerkennt
Vielleicht ist Slavoj Žižek inzwischen auch einer dieser „Spezialisten für Transformation“ geworden, für den er sich schon immer gehalten hat. Oder aber er wehrt sich mit aller Gewalt dagegen, einer jener „linken saturierten westlichen Akademiker“ zu werden − der er nun in Wirklichkeit geworden ist, wiewohl eben sein Markenzeichen das ist, eben keiner dieser „linken“ Sorte zu sein. Immerhin ist auch Žižek ein Profiteur der Befreiung durch den Westen − wobei in seinen Augen der Kapitalismus, und allem voran: die USA − den Wettlauf gegen das staatssozialistische System gewonnen hat; diese Variante der Zusammenbruchshypothese des „real existierenden Sozialismus“ steht für ihn unumstößlich fest und so ist es nicht weiter verwunderlich, dass er die Hand seines kapitalistischen Befreiers küsst. Irak ist demnach nichts weiter als noch ein „befreites“ Volk, das jetzt endlich von seiner Freiheit, von „liberaler westlicher Demokratie und einigen Konsumgütern … profitieren“ kann: ‚Bedürfnis nach Freiheit’ wird so übersetzt in ‚Anspruch auf Profit’.
Aber dennoch bleibt die Hoffnung, dass er sich einmal − wenn er sich an seinem lacanianischen Stalinismus abgearbeitet haben wird − zu jenem sympathischen Neurotiker wird, den Woody Allen und Groucho Marx haben klassisch werden lassen: einer der am Nachmittag aus der Partei austritt, die er am Morgen selbst gegründet hat., weil er als guter Neurotiker allem
.misstraut, was er selbst anfängt
Vom Kuss zum Biss
Dass Žižek von diesem Dilemma nicht unberührt ist, zeigt der Fortgang des zitierten Artikels: Er nimmt sich dort die Haltung der USA zum Internationalen Gerichtshof in Den Haag vor und zeigt den Widerspruch der USA auf, die für ihre Soldaten das Urteil des Gerichtshofs nicht akzeptieren wollen, während sie in aller Welt stehen, um − nach offizieller Lesart − eben diesem Internationalen Recht Geltung zu verschaffen. Žižek kritisiert dabei nicht diesen offensichtlichen Widerspruch, sondern wirft den USA etwas ganz anderes vor: „Das Problem mit den USA besteht gegenwärtig nicht darin, dass sie eine neue globale Weltmacht sind [die nach ihrem eigenem Recht und Gesetz verfahren kann, weil sie die Macht und die Gewalt hat, diese durchzusetzen; HPJ], sondern, dass sie es nicht sind, das heißt, während sie den Anspruch erheben, es zu sein, agieren sie weiterhin wie ein
(Nationalstaat, der rücksichtslos seine eigenen Interessen verfolgt.“ (19
Dass in diesem Falle das Internationale Recht gegen die Interessen des Nationalstaats ausgespielt wird, ist bemerkenswert, auch insofern als bei der Frage des US-Einmarschs in Irak solche Petitessen offenbar keine Rolle spielen. Die in der UNO-Charta festgelegten Souveränitätsrechte der Nationalstaaten, die zwar angesichts von Despoten à la Saddam Hussein oder von sog. „humanitären Katastrophen“ (meist ebenfalls verursacht von despotischen Staatsmännern oder deren Opponenten) in die Diskussion geraten sind, haben, entgegen allem Anschein, immer noch Gültigkeit. Die Notwendigkeit einer Veränderung wird u.a. auch vom deutschen Außenminister Fischer immer wieder gefordert; erfolgt ist sie indessen noch nicht. D.h. die Interventionen in den o.g. Fällen − und Irak ist hier nur ein Beispiel von zahlreichen sog. „humanitären Interventionen“ − sind nach wie vor durch das geltende Internationale Recht nicht gedeckt. Dass die USA sich um Internationales Recht nicht kümmern, hat der amerikanische Außenminister Colin Powell (der gemeinhin in der amerikanischen Regierung als „Taube“ gilt) auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos in aller Deutlichkeit unterstrichen: „Wenn wir eine entschiedene Einschätzung von einer Angelegenheit haben, dann übernehmen wir die Führung, selbst wenn uns niemand folgen sollte.“ (Wall Street Journal, 27. Januar 2003) Im Gegensatz dazu nähert sich Žižek hier schon dem Problem des Gesetzes, für dessen Verteidiger − „Pazifisten“ oder „saturierte linke westliche Akademiker“ (übrigens: nicht wenige darunter stammen aus den USA!) − er zunächst nur Hohn und Spott hatte: Das Eintreten für das Gesetz komme (leider − oder Gott sei Dank?) einer Subvertierung des Gesetzes gleich. Wiederum ist Žižek nicht um höhere Hilfe verlegen: Dieses Mal ist Karl Marx sein Zeuge, der das Modell der subversiven Unterminierung des eigenen Tuns am Beispiel der Zerstörung von Eigentum, Familie usw. im Kommunistischen Manifest schon einmal durchdekliniert habe: „Es sei die kapitalistische Ordnung selbst und deren wirtschaftliche Dynamik, die sowohl die traditionelle Familienordnung zerstörten (…) als auch den weitaus größten Teil der Bevölkerung ausbeuteten.“ (19) In Analogie zu Marx sind also die USA gerade dabei durch ihre Art der praktischen Fürsprache für die Demokratie die Regeln der Demokratie zu unterminieren: „Die Funktion der ethischen Bezugnahme [der USA] besteht schlichtweg darin, von den wahren politischen Absichten abzulenken und sie zu kaschieren.“ (Ibid.) − Was aber diese „wahren politischen Absichten“ sind, erfährt der Leser leider nicht. Nur eines wird klar: in der Argumentation Žižeks verdreht sich die politische Misere der US-amerikanischen Außenpolitik in eine „ethische Misere“, ja sie wird sogar, in seinen Worten, zu einer „sanften Revolution (…), in deren Verlauf die ungeschriebenen Regeln, die als Grundlage für die internationale
(Logik dienen, im Begriff sind, sich zu verändern.“ (Ibid
Dass der Autor selbst durch seine Argumentation im ersten Teil des Artikels nicht wenig dazu beigetragen hat, dass sich die Maßstäbe jeglichen Rechts
,außer dem des Rechts auf „Profit“ und „Konsum“) verschoben haben)
könnte man, mit Žižek’schem Gestus, als eine „List der Vernunft“ bezeichnen −
.einer Vernunft der Rationalisierung allerdings
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Feindbild Liberalismus
Der dritte Teil des Artikels bezieht sich auf die seit dem 11.9.01 verstärkt laufende Diskussion über Legitimität und Legalität des Einsatzes der Folter bei Gewaltverbrechen und/oder Terrorismus. Vermutlich hat Žižek von den Werken von Giorgio Agamben gehört, der mit viel philosophischer Sorgfalt das Konzentrationslager als den „normalen“ Zustand unserer künftigen Welt zu belegen versucht und dafür u.a. auch das Beispiel Guantánamo zitiert. Das Folterbeispiel hat inzwischen auch in der Bundesrepublik Deutschland seine Nachahmer gefunden: Die mit dem Entführungsfall des Bankiersohns von Metzler befasste Frankfurter Polizeistelle hat nach der Festnahme des Hauptverdächtigen ernsthaft erwogen, durch Folter das Versteck des Opfers in Erfahrung zu bringen. − Dass alternativ dazu auch eine Vergewaltigung von dessen Freundin zu Diskussion gestanden habe − immerhin eine logische
,Konsequenz der Folterakzeptanz −, wurde im Verlauf des Falles gemunkelt
.doch inzwischen per Gerichtsuntersuchung ins Reich der Fabel verbannt
Zu Recht wendet sich Žižek gegen solche Gedankenspiele − die in Guantánamo offenbar schon längst in die Praxis umgesetzt wurden und noch werden. Auf der Grundlage des − nationalen wie internationalen − Rechts kritisiert er die These von der «Überdemokratisierung», die in amerikanischen konservativen Kreisen − aber nicht nur dort − die Runde macht: „Das Bestreben, den Auswüchsen der «Demokratisierung der Demokratie» entgegenzuwirken, ist nichts anderes als die offene Ablehnung jeglicher effektiver Kontrolle der Kriegsführung durch internationale Organe. (…) Die Diskussion darüber, wie teuflisch Saddam nun ist, wie viel der Krieg kostet usw. sind falsche Debatten. Die Aufmerksamkeit sollte sich darauf richten, was gegenwärtig in unseren Gesellschaften passiert, welche Form von Gesellschaft hier als Ergebnis des «Krieges gegen den Terror» im Entstehen begriffen ist.“ (21) Dabei entdeckt er auch die Diskussion, die schon die von ihm verächtlich zitierten 68er geführt haben, nämlich das Problem von Legalität und Legitimität der Demokratie, den Spannungsbogen zwischen ihrer formaler und inhaltlicher („wirklicher“) Praxis. − Dass er die Akzeptanz einer nur formalen Demokratie wiederum den sog. « ’radikalen’ Linken» (21) zurechnet, könnte auf die Unkenntnis dieser Diskussion, die in der Bundesrepublik Deutschland ausgiebig in den späten 60ern geführt wurde, zurückzuführen sein. Dass er ausgerechnet Al Gore, den demokratischen Präsidentschaftskandidaten gegen George W. Bush, in diesem Zusammenhang zitiert, der durch die Akzeptierung seiner Wahlniederlage die formalen demokratischen Spielregeln eingehalten habe, entbehrt nicht der Groteske, wirft aber gleichzeitig ein Licht auf die polit-analytische Praxis von Žižek: Es gibt ein begriffliches a priori, zu dem dann die Beispiele gesucht werden − das ist die altbekannte Art klassifikatorischer Wissenschaft, die sich nicht mehr um die empirische Gültigkeit kümmern muss, weil die Empirie immer schon von der Theorie erfasst ist. − Und wenn die Wirklichkeit sich nicht nach der Theorie richtet − „umso schlimmer für die Wirklichkeit“, pflegte da ein anderer Žižek’scher Meisterdenker – Hegel – zu antworten. − Jedenfalls bleibt der Žižek’sche Aufruf zum Widerstand − „Warum sollte [die Linke] nicht unter gewissen Umständen die Legitimität des Ergebnisses eines formalen demokratischen Verfahrens in Frage stellen?“ (S.22) − ein hohle
.Geste
Slavoj der Große
Als letztes Thema wird noch in aller Eile und gleichsam nebenbei der israelisch-palästinensische Konflikt gelöst. Dieser Konflikt zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass das Interesse beider ‚Völker’ weniger unterschiedlich als vielmehr das Gleiche ist. „Wir haben überhaupt keinen Dissens“, antwortete der französische König François I im 16. Jahrhundert (vgl. Frankfurter Rundschau in einer Besprechung einer Berliner Veranstaltung zum Palästinakonflikt, Juni 2003) auf die Frage, worin der Streit zwischen ihm und Kaiser Karl V. besteht: „Wir sind uns im Gegenteil ganz einig: Wir wollen beide die Kontrolle über Italien.“ In Žižeks Worten klingt das so: „Es liegt nahe, hier von einem Knotensymptom zu sprechen. (…) Israel − das offiziell die liberale Modernität des Westens in der Region repräsentiert − legitimiert sich selbst mittels der Begrifflichkeit seiner ethisch-religiösen Identität, während die Palästinenser − die als vormoderne «Fundamentalisten» verpönt sind − ihre Forderungen mit Hilfe der Begrifflichkeit einer säkularen Staatsbürgerschaft legitimieren. (…) Die Geschichte vom Gordischen Knoten lehrt uns, dass die einzige Möglichkeit, eine solche Blockade zu lösen, nicht darin besteht, den Knoten zu entwirren, sondern darin, ihn zu durchschneiden. (…) Darin besteht die Wirkung eines echten politischen Akts: Er verändert die Koordinaten der Situation und macht das Undenkbare denkbar.“ (22) Diese Art des ‚passage à l’acte’ erwartet er nur von konservativen Politikern; insofern müsste Žižek die Wahl Ariel Scharons begrüßt haben, doch leider entspricht dieser Scharon nicht dem theoretischen Bild, das sich Žižek von einem konservativen Revolutionär gemacht hat: Das geforderte Charisma des «starken Mannes» habe dieser Scharon ohne Zweifel; doch zur Übernahme des Programms von Amram Mitzma, seines Gegners, der „einzig möglichen Lösung für den Konflikt“ − „bedingungsloser Rückzug Israels aus der West Bank und aus Gaza“ − sei „Scharon selbstredend nicht in der Lage“ (ibid.). Wieder soll ihm ein Meisterdenker helfen, das Problem auf den Punkt zu bringen: «Wäre es nicht einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?», wird Bertold Brecht zitiert. Inwiefern dieses Zitat, das ursprünglich ein Kommentar zum Aufstand in der DDR 1953 war, zur Erkenntnis der Lage etwas beitragen soll, bleibt den unerforschlichen Weiten des entgrenzten Žižek’schen Geistes anheim gestellt; denn weder macht sich ein Aufstand gegen Scharon bemerkbar, noch ist Scharon der Regierungschef der Palästinenser, die ja gerade den permanenten Aufstand proben. Nebenbei
...bemerkt: auch scheint mir Žižek nicht Brecht zu sein
Wie dem auch sei: „Aus diesem Grund ist es einfach, die große Frage zu beantworten: Worin bestünde heute der wahrhaft radikale ethisch-politische Akt im Nahen Osten? (…) Beide Seiten müssten der Transformation der Altstadt von Jerusalem in ein außerstaatliches Territorium unter der Kontrolle einer neutralen internationalen Macht beipflichten.“ Nur wer etwas verliert, könne etwas gewinnen: Die neuste Version des Lacan’schen ‚passage à l’acte’ ist das (uralte) gordische Modell − und das ist Äonen weit entfernt von
.“Freuds Verständnis der „Lösung
Hätte Lacan in seinen knotentheoretischen Spielchen einen treuen Žižek zur Seite gehabt, der ihm letztendlich gezeigt hätte, wo’s lang geht: alles nur ein einfacher „ethisch-politischer“ Akt! − vielleicht hätten wir es heute
?leicht(er), Jacques Lacan für tot zu erklären
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Frankfurt am Main, im Juli 2003
Aus: Mitgliederbrief Nr. 36 der „Assoziation für die Freudsche
“Psychoanalyse
vom 29. September 2003
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