Hans-Peter Jäck
Theatralität und Kino
A. Zur Theorie der Theatralität
Durch die massenhafte Durchsetzung des Films scheint im Verein mit der Verbreitung der elektronischen Medien die traditionelle Form des Theaters zu einem Ende gekommen zu sein, denn die Rolle, die das Theater bei der Entwicklung der sozialen und nationalen Identität des modernen Menschen gespielt hat, ist mit dem weltweiten Hollywoodsystem in eine neue Phase eingetreten. Ebensolches ist mit der öffentlichen Rolle des Theaters und des Kinos inzwischen geschehen, und zwar durch die Verbreitung dessen, was man in den USA „home-theater“ nennt: Das Kino scheint sich endgültig aus
.dem öffentlichen Raum in die Privatheit zurückzuziehen
Andererseits haben viele Theaterleute Elemente des Kinos in ihre Vorstellungen mit einbezogen (vgl. The Wooster Group, Christoph Schlingensief im Bayreuther „Parsifal“ etc.); sie scheinen so dem traditionellen Theater neues Leben einhauchen zu wollen. Wie am Beispiel von Spike Jonzes Film «Being John Malkovich» (1999) zu sehen ist, sind wir Zeugen einer bemerkenswerte Wendung im Verhältnis Theater-Film geworden: ein Vertreter des traditionellen Theaters – ein Puppenspieler – versucht hier gegen die Übermacht des Kinos, die ihm seine Existenz bedroht, anzuspielen und rettet und dokumentiert so seine Weiterexistenz (und damit die des theatralischen Dispositivs) – allerdings: im Kino! Die Verbindung beider Arten von Theater haben das gemeinsam, was man unter dem Begriff „Vorstellung“ zusammenfasst: die neue Assoziation
[1] greift auf Momente zurück, die
.im Ursprung des Theaters zu finden sind
.1
Theater und Aisthesis
? Was ist unter dem Begriff „Theater“ zu verstehen
Das Theater ist erst in der Neuzeit fokussiert um den Kunstaspekt (sc. Gesamtheit der darstellenden Künste – Schauspiel, Oper, Operette, Bühnentanz), mit dem wir es heute verbinden. Zugrunde liegt beiden – dem
.Schau- wie dem Lichtspieltheater – der Aspekt der aisthesis
Begrifflich leitet sich das Wort ‚Theater’ ab vom lateinischen ‚theatrum’, dessen Wurzeln uns bis ins Griechische zurückführen: ‚theatron’ ist der „Ort einer Aufführung von Schauspielen, der Schauplatz“, aber es bezeichnet ebenfalls jene, die das Schauspiel mit ihren Augen verfolgen: die „Zuschauer“
[2]. Das ursprüngliche Wort ist eine Ableitung des griechischen Verbs ‚theasthai’ – „schauen, zuschauen, betrachten“ und steht mit der
.griechischen Wurzel ‚Theorie’ in Zusammenhang
Die Wortgeschichte soll zeigen, dass es sich beim „Theater“ um einen „Ort“ handelt, in dem „Schauspiele“ vor „Zuschauern“ aufgeführt werden; als „Schauplatz“ ist das theatron keineswegs nur der Aufführungsort für Dramen (Komödien und Tragödien), sondern er bezeichnet auch die Wettkampfarena (lat. spectaculum), in denen Kampfspiele stattfinden; beide Arten von Schauplätze geben dem Zuschauer „zu sehen“. Das Auge und der Blick der Zuschauer sind konstituierende Elemente jenes Theaterdispositivs; sie machen aus einem Ort, einer Bühne, einem Platz – einen ‚Schauplatz’. Zusätzlich umschreibt der Begriff aber auch noch das Geschehen auf diesem Platz als
.einer Arena, auf der (Kampf-)Spiele (griech. ‚agon’) ausgetragen werden
Der Begriff des „Spektakels“ („spectaculum“) übersetzt den griechischen Grundbegriff genauer ins Lateinische, und es kommt nicht von Ungefähr, dass damit in neuerer Zeit auch jener volkssprachlichen Aspekt verbunden wird, der das Geschehen in diesen Räumen, d.h. auf dem „Schauplatz“, seit dem
Jahrhundert mit der umgangssprachlicher Bedeutung von „Gezeter,.20
Geschrei, Lärm, Getue“
[3], „Aufregung“ zusammenführt. Der Begriff des „Spektakels“
[4] bezeichnet zwar zunächst ein Schauspiel, eine theatralische Aufführung, eine Schaustellung, doch er steht auch zur Bezeichnung von „Schrecken, Trauer oder Mitleid erregende Szenen“, ja insgesamt für „bewegte lärmende Volksszenen“, wie z.B. Hinrichtungen, Einbringung von Gefangenen und dergleichen. Im 18. Jahrhundert entwickelt sich daraus die Bedeutung von „ärgerlicher, Aufsehen erregender Auftritt, Spott, Schande“ sowie die beim Begriff des ‚Theaters’ schon erwähnten Bedeutungen
[von „Lärm, Krach, Getöse, Tumult, Zank, Streit“.[5
Das ‚Theater’, so lässt sich schließen, ist demnach keine bloße Anstalt des Kontemplativen, wie die Wurzel des griechischen Begriffs des theastai – das eng mit theoría zusammenhängt – zunächst vorzugeben scheint. Wird noch im
Jahrhundert davon ausgegangen, dass der theorós – ‚Zuschauer’.16
spätlateinisch theoretiós – „rein ‚beschauend, (geistig) betrachtend, untersuchend, spekulativ“ vorgeht, dann lässt sich seit dem 18. Jahrhundert die direkte Anteilnahme des Zuschauers am „Spektakel“ nicht mehr unterschlagen – wenn diese Aufspaltung überhaupt je einmal nicht der Fall gewesen sein sollte. Die subjektive Betroffenheit des Zuschauers von dem, was sich auf dem „Schauplatz“ abspielt, ist seit der griechischen Antike immer schon mitbedeutet gewesen. Allein schon aus der Bedeutung und Entwicklung des Worts lässt sich die Verschmelzung von Schauspiel- und Filmtheater
. begründen
Ist bisher vor allem das Theater als Bühnengeschehen beschrieben worden, so stellt sich jetzt die Frage nach dem Zuschauers und dessen Platz im
:Theatergeschehen
Wo ist dieser Ort des Zuschauers anzusiedeln? Oder genauer gefragt: Ist das
[Theater «ein Ort, in dem oder auf den man zuschaut?»
[6 -
Die Antwort fällt ambivalent aus, allerdings mit unterschiedlichen Konsequenzen: Der Zuschauer ist entweder innerhalb oder außerhalb des Theaters. Wenn er im Theater ist, ist er Teil des Theaters bzw. des Schauspiels (er ist gewissermaßen „im“ Bild); schaut er aber auf das Theater, dann besitzt er genau jenen „Überblick“ (griech. synopsis), den man traditionell von einem guten Tragödiendichter für sein Publikum verlangt. Der Zuschauer kann nur ‚im Bilde’ sein, d.h. den Überblick bewahren, wenn er nicht ‚im’ Bild ist, sondern von einem „anderen Schauplatz“ (S. Freud) aus
.daraufblickt bzw. sieht
.2
Mythos und ‚Plot’ bei Aristoteles Nicht weiter verwunderlich ist deshalb, dass diese doppelte Eingebundenheit des Zuschauers unter dem Aspekt von „Furcht und Mitleid“
[7] in einer grundlegenden Theatertheorie des Abendlands ihren zentralen Stellenwert erhält, nämlich in der Tragödientheorie von Aristoteles. Auch aus Sicht dieses Theoretikers bleibt es im Theater nicht allein beim theoretischen Betrachten. Andererseits legt Aristoteles aber auch die Grundlagen dafür, dass die Wirkung des Bühnengeschehens auf den Zuschauer seitdem unter jenen Aspekten zu analysieren ist, die dann ausgerechnet wesentliche Teile des
.Theatergeschehens aus dem Blick geraten lassen
In Kapitel 6 seiner „Poetik“ legt Aristoteles die Bestimmungen fest, nach
:denen eine Tragödie zu analysieren sei
„Demzufolge enthält jede Tragödie notwendigerweise sechs Teile, die sie so oder so beschaffen sein lassen. Diese Teile sind: Mythos (mýthos), Charaktere (ethe), Sprache (legsis), Erkenntnisfähigkeit (dianoia), Inszenierung (opsis) und Melodik (melopoiía). Die Mittel, mit denen nachgeahmt wird (mimountai), sind zwei [d.s. Melodik und Sprache]; die Art wie nachgeahmt wird, ist eine [die Inszenierung]; die Gegenstände, die nachgeahmt werden, sind drei [d.s. Mythos, Charaktere, Erkenntnisfähigkeit]; und darüber hinaus gibt es nichts. Der wichtigste Teil ist die Zusammenfügung der Geschehnisse; denn die Tragödie ist nicht Nachahmung von Menschen, sondern von Handlung und von Lebenswirklichkeit (bíon). […] Folglich handeln die Personen nicht, um Charaktere nachzuahmen, sondern um der Handlungen willen beziehen sie Charaktere ein. Daher sind die Geschehnisse und der Mythos das Ziel (télos) der Tragödie; das Ziel aber ist das Wichtigste
[von allen.“[8
:Und zusammenfassend folgert Aristoteles
„Das Fundament und gewissermaßen die Seele der Tragödie ist also der
[Mythos.“[9
Wir treffen auf einen fundamentalistischen Aristoteles, der hier nicht nur die Tragödie allein zum Modell für alle Arten von Schauspielen macht (und damit alle anderen Arten von Schauspielen in den Hintergrund drängt), sondern der zudem das Bühnenspiel selbst auf ein einziges Moment, nämlich das, was er „mýthos“ nennt und was heute gängig als „Plot“
[10] bezeichnet wird, reduziert. Aristoteles versucht dadurch, den Zuschauer aus dem Theater als einem umfassenden ‚Schauspiel’ herauszuhalten und den Zuschauer, den „Schauplatz“ des Zuschauers an einem paradoxen Ort zu situieren: der Zuschauer wird gleichzeitig innerhalb und außerhalb des Theaters verortet. Auch hält der hierzu vorgebrachte Mimesis-Begriff das, was man gemeinhin als Leben (praxis) der Menschen aus Fleisch und Blut nennt, außen vor: Keine „Nachahmung von Menschen“, fordert Aristoteles, sondern die „von Handlung und Lebenswirklichkeit“, d.h. die Aufgabe der Schauspieler ist die Umsetzung des Plots/mýthos in Handlung (‚action’). Geschuldet ist dieser Reduktionismus der übergeordneten (und/oder fürsorglichen?) Absicht, dem
.Zuschauer während des Theaters die „Übersicht“ / synopsis zu sichern
Jacques Lacan hat dieses Ziel von Aristoteles und die daraus sich ergebenden
:Konsequenzen herausgestellt, zugespitzt und insgesamt begrüßt
„Auf der Ebene dessen, was sich im Realen ereignet, ist [der Zuschauer] viel eher ein Zuhörer. Und ich wüsste mich nicht mehr zu beglückwünschen als darüber, hierin mit Aristoteles überein zu stimmen, für den die ganze Entwicklung der Theaterkünste sich auf der Ebene des Hörens ereignet, während das Schauspiel für ihn an den Rand gedrängt wird.“
[11] [Hervorhebungen HPJ]
Lacan teilt also Aristoteles’ Vorurteil, allerdings aus anderen Gründen [aber sind diese Gründe tatsächliche andere?]: der Psychoanalytiker erkennt in der aristotelischen Bedingung des Theaters die Grundlage des der Psychoanalyse eigenen settings: die Praxis des (Zu-) Hörens.
[12] Genau wie bei Aristoteles soll der Psychoanalytiker als ‚Zuhörer’ in der von Freud verordneten „gleichschwebenden Aufmerksamkeit“ die Übersicht (Synopsis) bewahren und sich nicht ins Geschehen auf der Couch miteinbeziehen lassen.
[13] Theater und Psychoanalyse sind vom aristotelischen Prinzip her Praktiken des Hörens.
[14] Das Schauspiel, das psychoanalytische setting wird dem Plot, d.h. der erzählerischen Kontinuität, der Narration, dem griechischen mýthos untergeordnet; das Schauspiel-Hören wird so zur „Kunst“ geadelt, denn hier drücke sich – nach Aristoteles – allein die Kunstförmigkeit des wahren
[Schauspiels aus.[15
Während das Theater bis vor Kurzem immer noch von diesem Dogmatismus bestimmt wurde, hat der Film, dank seiner diversen Techniken wie Einstellung, Sequenz, Schnitt, Stimme etc. diese Beschränkungen längst hinter sich gelassen (auch wenn im Zuge des weltweiten Hollywood-Kinos die Unterordnung unter den „plot“ noch über lange Zeit ungebrochen blieb). Und schon Sigmund Freuds „Traumdeutung“ (1900), die wohl nicht ganz zufällig im Jahrzehnt der Erfindung des Films konzipiert wurde, verdankt den diversen filmischen Techniken viel mehr als sich ahnen lässt, wie man gerade anhand
:seiner Unterscheidung von Tag- und Nachttraum deutlich sehen kann
„Beim Tagtraum bewahrt man eine gewisse Distanz zur Phantasie, die man beim unbewussten Nachttraum nicht mehr hat. Beim unbewussten Traum kann man nie genau wissen, worum es geht, gerade weil man darin zu sehr
[impliziert ist. Man ist also «im» Bilde, aber nicht «im Bilde».“[16
Das moderne Schauspiel und der moderne Film ähneln von daher immer mehr dem Nachttraum, destruieren/dekonstruieren so den sicher geglaubten Ort des Zuschauer-Zuhörers fortwährend weiter und machen ihn zum „anderen Schauplatz“, zum paradoxalen Ort eines gleichzeitigen Innen- und Außenseins.
.3 ? Was ist ein ‚Medium’Seit dem Aufkommen der elektronischen Medien spricht man von einer „Dritten technischen Revolution“ (nach dem Faustkeil und nach der Dampfmaschine), die unsere Gesellschaft – und seit den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts: die gesamte „globalisierte“ Welt – grundlegend verändert. Neu ist daran, dass im Zeitalter der Globalisierung offensichtlich auch die ‚älteren’ Medien, wie z.B. die Fotografie, der Film, der Rundfunk, das Fernsehen etc., ihren Status so verändern, dass man davon sprechen kann, dass die ‚Medien’ „zunehmend gewisse Funktionen übernommen [haben], die früher durch die universale Kirche, dann die Nationalstaaten und schließlich durch übernationale Einrichtungen wie die Vereinten Nationen, die EG, EU usw. ausgeübt worden sind“.
[17] Die weltumspannende elektronische Vernetzung bereitet aber einem ambivalenten Prozess den Weg, den die alten Institutionen Kirche und Nationalstaat so nicht kannten: Während erstere durch ein politisches Dispositiv, im Sinne von Carl Schmitts «Begriff des Politischen», dahin drängten, die Welt in ‚wir’ und ‚die’ [anderen] – also: in Freund/Feind – zu unterteilen, d.h. den politischen Zusammenhalt einer Gesellschaft oder Nation
[18] durch die Schaffung äußerer Feinde zu gewährleisten, gibt es [für die Vernetzung bei letzteren] „kein Fremdes, kein Äußerliches, keinen absoluten ‚Feind’ [mehr, HPJ], gegen den diese Einrichtung sich absetzen und bestimmen könnte“.
[19] Die neue ‚Logik’ kennt keine Exklusion mehr, sondern nur noch Inklusion. Es ist wie bei einem Möbiusband, wo das Außen und das Innen im Prozess des Fortschreitens sich überlappen: das Äußerliche ist zugleich innerlich.
[20] Zentralen Anteil an dieser sich durchsetzenden Ambivalenz hat dabei die Gesamtheit dessen, was man vorschnell und undifferenziert unter dem Begriff der sog. Medien zusammenfasst; sie sind es, die einerseits die absolute Inklusion herstellen und zugleich innerhalb dieser Inklusion wieder den politischen „Feind“ theatralisch (re-)produzieren, der so in einer Art Unheimlichkeit in den Medien ‚heimisch’ gemacht wird.
[21] Im Zuge der globalen Vernetzung lässt sich konstatieren, dass dieser Prozess des „include-me-out“ – vice versa – ohne eigentlichen ‚Souverän’ – wie ihn Carl Schmitt
[noch kannte und forderte ― abläuft.[22
Dass die ‚Medien’ eine (Definitions-)Macht besitzen, liegt an ihrem, theoretisch-strategischen randständigen Status: Die Medien selbst befinden
.sich ebenfalls weder außerhalb noch innerhalb eines Systems
:Dazu einige Erläuterungen anhand der Wortgeschichte
Der Begriff Medium bedeutet zunächst „Mittel, Mittler, Versuchsperson“; er wurde im 17. Jh.) von lat. medius, der substantivierten neutralen Form des Adjektivs lat. medium, „der in der Mitte Befindliche, der Mittlere“, übernommen und ist etymologisch verwandt mit „Mitte“. Medium ist anfangs (des 17. Jahrhunderts) ein naturwissenschaftlicher Terminus im Sinne von „Vermittler, Träger physikalischer Prozesse“ sowie ein Fachwort der Grammatik für eine Aktionsrichtung des Verbs, die (z.B. im Griechischen) zwischen Aktiv und Passiv steht und bei der das Subjekt sowohl Ausgangspunkt als auch Ziel der Handlung ist. Der übertragene Gebrauch im Sinne von „Mittel, vermittelndes Element“ wird erst im 18. Jh. üblich; wohl daran schließt sich der in spezieller Bedeutung verwendete Plural Medien (auch Massenmedien), „Informationen und Meinungen vermittelnde Einrichtungen, bes. die Gesamtheit von Presse, Rundfunk und Fernsehen“ (2. Hälfte 20. Jh.) an. Seit dem 19. Jh. bezeichnet Medium auch „die vermeintlich vermittelnde Person im spiritistischen Geisterverkehr“, was wohl dem Wortgebrauch des amerikanischen Spiritismus folgt. Daraus leitet sich allgemeiner die Bedeutung „geeignete Versuchsperson“ (für wissenschaftliche,
[bes. für psychologische, seltener auch medizinische Experimente) ab.[23
Die Medien, so darf man folgern, machen den Zuschauer zu einem ‚Medium’, das sich einem fremden ‚Willen’ aussetzt, ja schließlich von diesem beherrscht wird. Dabei liefern vor allem „Katastrophen, natürliche wie von Menschen herbeigeführte, Kriege, Verbrechen, Verstümmelungen usw. […] den Nachrichtensendungen der Medien ihr bevorzugtes Rohmaterial.“
[24] Da dieses Material aber aus seinen bestimmenden Kontexten herausgelöst, visuell aufbereitet und als „sound- und sightbites“
[25] (S. Weber) den Zuschauern flüchtig vorgeführt wird, verwischt sich eine der grundlegendsten Tatsachen der Medien, nämlich die Möglichkeit einer klaren Unterscheidung zwischen Darstellung und Wirklichkeit. In der Folge werden auch andere Unterscheidungen hinfällig, so z.B. der Unterschied zwischen Außen und Innen, Fremdem und Eigenem, Anwesendem und Abwesendem, ja schließlich auch Leben und Tod. Die Medien vermischen das Was mit dem Wie: „Im Zeitalter der Digitalisierung der Bilder lässt sich noch weniger als je ausmachen, ob das, was ein Bild scheinbar realitätsgerecht abbildet, überhaupt außerhalb des Bildes bzw. des Sehvorgangs existiert. […] Souverän ist also allein das Medium selbst“, folgert Samuel Weber
[26] und legt so den Finger auf die nun endgültig problematisch gewordene aristotelische Forderung nach einer vom Schauplatz des visuellen Geschehens getrennten Position des Zuschauers
.4 “ Das „Unheimliche“ und der „herausgelöste Blick
Das aber macht gerade das „Unheimliche“ der Medien aus – und zwar in genau jenem Sinne, wie Sigmund Freud es bestimmt hat: Für ihn ist das Unheimliche „jene Art des Schreckhaften, welche auf das Altbekannte,
:Längstvertraute zurückgeht“
[27], und er folgert daraus
„Wir werden überhaupt daran gemahnt, dass dieses Wort ‚heimlich’ nicht eindeutig ist, sondern zwei Vorstellungskreisen zugehört, die ohne gegensätzlich zu sein, einander doch recht fremd sind, dem des Vertrauten, Behaglichen und dem des Versteckten, Verborgengehaltenen.“
[28] Kurz: ‚unheimlich’ ist alles, was „ein Geheimnis, im Verborgenen bleiben sollte und hervorgetreten“ ist
[29]; „die Grenze zwischen Phantasie und Wirklichkeit [wird] verwischt…, wenn etwas real vor uns tritt, was wir bisher für
[phantastisch gehalten haben“.[30
“.Genau wie im „Nachttraum
Der ‚Mediokratie’ und ihrer Unheimlichkeit gelingt es sogar, „den
[herkömmlichen Status des Körpers zu subvertieren“:[31
„Durch das Fernsehen [und das Kino, HPJ] wird dieser Körper vergeistigt, entmaterialisiert, und damit scheinbar der Unsterblichkeit einen Schritt näher gebracht. Doch zugleich wird dieser Körper gerade umso mehr an seine Beschränktheit und Sterblichkeit gemahnt. Denn die Trennung des Sehens vom Körper belässt diesen in einer besonders exponierten Lage: Man sieht vermöge eines Apparats, der einem körperlich nicht mehr
(gehört.“ (S. Weber
Der Blick wird aus dem Auge, aus dem Körper herausgelöst und offen für Spiele von Identifizierungen, die Einfachheit und Eindeutigkeit, d.h. und die Äquivalenz: ein Bild = eine Bedeutung nur noch vorspiegeln. Das Medium wird, nach der altbekannten These von Marshall McLuhan, von der „message“ zur „massage“.
[32] Der Andere wird im Spiegelbild entweder zum Subjekt oder zum Objekt von (realer oder imaginärer) Gewalt, er „ist also
[entweder Opfer oder Terrorist“.[33
.5 Das militärische Theater oder: Die moderne Theatralität
-
Aus den ausgeführten Gründen ist es deshalb nicht verwunderlich, dass seit den Interventionskriegen der 90er Jahre des letzten bis ins erste Jahrzehnt unseres Jahrhunderts eine neue – militärische, und deshalb nicht-ästhetische – Bedeutung Besitz vom Begriff des ‚Theaters’ genommen hat. In den USA nennt man ‚theater’ jenes Areal, auf dem militärische Interventionen stattfinden und bei dem es darum geht, einen Ort oder einen Raum, der umkämpft ist, sich anzueignen; aus einem mehr oder weniger undefinierten, ausgedehnten Raum wird solchermaßen ein wohldefinierter, abgegrenzter und abgrenzbarer Ort oder Platz, eine Arena des ‚agon’ („theaters of operation“). Der Übergang vom Raum zum Platz geschieht im Allgemeinen durch einen ‚Eingriff’, eine ‚Intervention’ (‚intervention’) von Kräften, die von außen kommen und den Raum in Beschlag nehmen, ihn gewissermaßen ‚rahmen’, d.h. mit einem definierten Rahmen, einer wohldefinierten Grenze versehen: Ein ‚Theater’ kann demnach bestimmt werden als „ein Ort, dessen Status darin besteht, ein Platz zu sein, der einer externen Intervention und von daher Kräftebeziehungen unterliegt, die niemals in dem zur Frage stehenden Platz selbst «enthalten» sind.“
[34] Diese Definition impliziert aber zugleich eine zweite: Der Theaterort muss zumindest auch einen festen Platz oder Ort haben, von dem aus die Intervention ausgehen kann. Das führt ab vom bloß aisthetischen Verständnis des Theaters, denn diese Bedingung verwandelt das Theater von einem Genre des Ästhetischen und Repräsentativen (d.h. von einem Raum, in dem ‚Vorstellungen’ / ‚Repräsentationen’ stattfinden) zu einem räumlichen Medium, in dem nichts mehr wichtig ist, m.a.W. wo alles im eigentlichen Wortsinne gleich–gültig ist: Der frühere [Begriff des Raums] fokussiert die Art und Weise des Stattfindens einer Vorstellung, nämlich das WIE, während der letztere den Platz ins Auge fasst, der schon besetzt oder gegeben ist, als Mittel und Instrument dessen, WAS vorgestellt, repräsentiert werden soll. Im Hinblick auf seine Medialität kann Theatralität deshalb definiert werden als ein „problematischer Prozess eines Platzierens, einer Einrahmung (framing), eines Situierens, und das eher als durch einen vorherbestimmter Ort einer Vorstellung.“
[35] Samuel Weber hält diesen Modus der Theatralität für den zentralen Aspekt der gesamten heutigen
.Kultur und der Gesellschaft im Allgemeinen – und des Kinos im Besonderen
B. Drei Beispiele
Am Beispiel dreier Filme lässt sich Samuel Webers These der Theatralität genauer entwickeln. Es handelt sich dabei um Jacques Rivettes «La bande des quatre» («Die Viererbande»), Spike
.(Jonzes «Being John Malkovich» (1999) und David Cronenbergs «eXistenZ» (1999
-1
» ‚action’ versus ‚acting’ – Jacques Rivette: «La bande des quatre
In Jacques Rivettes Film «La bande des quatre» (1988) steht vor allem die Frage des Raums und dessen Rahmung im Mittelpunkt. Dazu genügt die Analyse der Eingangssequenz: Wir sehen zunächst im Close-up einen jungen Mann, der höchst übertrieben, in der Art eines unprofessionellen Schauspielers seinen Part aufsagt. Dann fährt die Kamera langsam zurück, wir nehmen seinen Gesprächspartner wahr und schließlich eröffnet die Kamera uns den Blick auf eine Theaterbühne! Wir haben es also mit einem Schauspieler, besser noch: mit einem Schauspielschüler zu tun, der dabei ist, seine ‚Rolle’
[36] vorzuspielen; wir sehen einem ‚actor’ beim ‚acting’. Die Erweiterung des Blicks – vom actor über die Bühne zum gesamten Theater – ist in dieser Sequenz insofern von Bedeutung, als dem Zuschauer hier das ‚acting’ als solches vorgeführt wird. Das ist wiederum keinesfalls ein selbstverständliches ‚acting’ eines Schauspielers, denn seit der Dramentheorie von Aristoteles gehört zu jedem ‚acting’ die Darstellung einer ‚action’, eines ‚plots’ oder einer Figur (character). Jacques Rivette zeigt aber dessen ungeachtet ein bloßes ‚acting’, was durch das Kamera-Travelling langsam als solches enthüllt wird; denn die Figur im Close-up spielt zwar eine ‚Rolle’ vor, diese hat aber mit dem Kontext des Filmes, d.h. dem eigentlichen „Plot“ (scheinbar) nichts zu tun, da sie aus dem Zusammenhang gerissen präsentiert wird: „‚Action’ lässt sich als gleichsam selbsttragender Teil des Schauspielens entziffern, da es buchstäblich bedeutungsvoll oder bedeutungstragend [in sich, HPJ] ist. Demgegenüber erfasst ‚acting’ ein Moment der Wiederholung, das nie zu einem schlüssigen zirkulären Spiel gelangt, und das infolgedessen schwer zu bezeichnen, schwer zu erfassen ist.“
[37] Hieran lässt sich auch der Unterschied zwischen dem Präsens Indikativ und einem Partizip Präsenz des Verbs ‚to act’ verdeutlichen: Letzteres ist immer partikular, ‚partagé’, und steht immer in Verbindung mit dem Prozess des Aussagens (énonciation) selbst; denn das ‚Präsens’ des Partizip Präsens steht gleichsam simultan mit dem Aussagen (Äußerung, Artikulation) als solchem. Das ‚acting’ ist demgegenüber gebunden an die Zeit (und den Raum) meines aktuellen Sprechens oder Schreibens; es ist eine ‚performance’ im ‚acting’, gewissermaßen ein „live-acting“, das sich selbst bedeutet oder vor–stellt, und zwar gegenüber einem Zeugen, für den es etwas bedeutet oder vorstellt. Von daher erhält die Eröffnungsszene von «La bande des quatre» ihren rätselhaften und verstörenden Charakter, da dem Zuschauer-Zuhörer der Zugang zu einer Transparenz, d.h. der Einsicht in die ‚wirkliche’ Bedeutung der Szene verwehrt ist. Jemand spricht, doch es wird nicht klar, ob er wirklich ‚seine eigenen’ Worte spricht – ja, man wird durch die Kamerafahrt darauf gestoßen, dass er nicht einmal ‚im eigenen Namen’ spricht; nicht einmal mehr der ‚Name’ – der Filmfigur, des
.Schauspielers – gewährt uns beim Sehen eine Sicherheit eine Stabilität
[Woher aber kommt die Stimme?[38
Zunächst meint man noch durch die Wahrnehmung einer zweiten Person das Rätsel lösen zu können. Dann aber gibt die Kamera den Blick auf einen Raum – eine Bühne – frei, und schließlich sehen wir die Regisseurin des Bühnenstücks (hier: Bulle Ogier in der Rolle von Charlotte), eine Person, die der Eingangsszene letztlich einen „Rahmen“ (frame) gibt und anhand der wir erkennen können, dass wir bloß Zeugen einer Schauspielprobe gewesen sind. Erst jetzt erhält die Instabilität des ‚acting’ der Eröffnungssequenz eine „Bedeutung“ als Teil einer „Klasse“, und zwar im doppelten Sinne des Begriffs: als Filmpart ist die „Klasse“ Teil einer Sequenz (Klassifizierung) und gleichzeitig ist dies eine Sequenz einer Schauspiel- oder Unterrichts-„Klasse“. (Wir – als Zuschauer-Zuhörer – werden dabei zudem selbst in einen pädagogischen Lernprozess wie in einer Schul-„Klasse“ einbezogen.) Und jetzt erst reiht sich die Eröffnungssequenz des Films ein in die aristotelische Forderung nach einem „Plot“ bzw. einem „Mythos“ – als
.dessen [erste] Episode
Der Zuschauer-Zuhörer darf nun eine gewisse Erleichterung empfinden: Er hat einen Ankerplatz (point of ancrage) gefunden und kann diese Filmepisode als einheitlich und stabil – gemäß den Grundzügen der paranoischen Erkenntnis – wahrnehmen und deuten. Das Moment der Theatralität ist also nicht identisch mit der ‚action’ (etwa dem Schauspieler auf der Bühne, der Schauspielklasse o.ä.); diese besteht eher in einer Art ‚Beschreibung’ oder ‚Darstellung’ (depicting) eines Bilds in einer Szene, deren Rahmen wiederum stetig, ja unendlich verschiebbar ist. Aufgrund dieser Verschiebbarkeit des Rahmens ist das Ergebnis unseres Zuschauens/Zuhörens niemals vorhersagbar
.oder endgültig bestimmbar
Dies aber macht ein Spezifikum dieser Eröffnungsszene, aber auch des Kinos insgesamt aus! Das andere Spezifikum besteht darin, dass die Teilnahme an diesem Prozess des „framing“ den Zuschauer-Zuhörer in eine
:ambigue Situation bringt
Der Kinobesucher geht ins Kino, um das, was man für gewöhnlich als „Erwartungshorizont“ bezeichnet, zu befriedigen. Nun besteht aber die Funktion des Theaters, aber noch mehr die des Films, gerade darin, dass das Gezeigte diesen Erwartungshorizont erschüttert oder ins Leere laufen lässt: Im Film geschieht das allein durch ein technisches Mittel, das darin besteht, dass an jede Szene eine beliebige andere Szene ‚geschnitten’ werden kann, die der vorausgehenden erst ihre (oder besser: eine) Bedeutung verleiht. Schnitt und Montage setzen der Bedeutung eines Films erst einen ‚Rahmen’, ohne den der Zuschauer keinen Sinnzusammenhang im Film zu erkennen vermag. Die Intervention der Rahmung (des ‚framing’) markiert oder eröffnet allererst den Zugang zum Film – ein Prozess, der letztlich niemals ein Ende hat – oder anders gesagt: Die Rahmung dient durch eine Art Skandierung dazu, die unrepräsentierbare Bedingung alles Repräsentierbaren
[39] zur Darstellung zu bringen. Theatralität ist somit ein bloßes Mittel/Medium
[40], um die Integration einer Erzählung zu gewährleisten. Dieses ‚Auf-die-Bühne-Bringen’ (staging) von acting führt – weil es grundsätzlich verschieden ist von der Handlung, der action selbst – letztlich zu keinem Ende, sondern nur zu einem ‚Enden’ – am Schluss des Films (der von daher auch
.(weitergehen könnte …
-2
« Individueller Körper und Puppe – Spike Jonze: «Being John Malkovich
Das zweite Beispiel, das zur Explikation des Begriffs der Theatralität herangezogen werden soll, ist Spike Jonzes Film «Being John Malkovich» (1999), und es ist kein Zufall, dass das soeben diskutierte
.Partizip Präsens hier schon im Titel auftaucht
Der Schauspieler – auf der Bühne oder im Film – spielt „eine Rolle“ – hier: im buchstäblichen Sinne die ‚Titelrolle’. In «Being John Malkovich» sehen wir einen Hollywoodschauspieler, der eine Art Interface zwischen actor und acting ins Werk setzt. Das Spiel des Schauspielers John Malkovich (JM) überlagert sich mit dem John Malkovich, der gespielt (acted) wird. Die gesamte Neugier des Zuschauers konzentriert sich so auf eine ‚Person’ oder ein ‚Individuum’, das durch ein unpersönliches Netzwerk wie dem des Hollywood-Star-Systems gebildet wird. Aber gerade John Malkovich ist ein Schauspieler, der dieses Star-System beständig in Zweifel zieht (und ist vermutlich gerade deswegen als Hauptdarsteller für diesen Film ausgewählt worden!); und der Film zeigt gerade seine Bemühungen, sich das, was man für gewöhnlich seine Individualität nennt, (wieder) anzueignen: Durch einen Puppenspieler (der aufgrund der modernen elektronischen Medienvielfalt arbeitslos zu werden fürchtet und der deshalb ein neues Betätigungsfeld sucht) wird JM dadurch sich selbst entfremdet, dass dieser Puppenspieler den Körper von JM als Schauplatz benutzt; JM hat die Kontrolle über sich verloren. Sein Körper wird zum Theater, zur Bühne, ähnlich einer Wohnung oder eines Appartements, in dem andere, fremde Besucher beliebig ein- und ausgehen können (und dafür bezahlen müssen!); das ‚Individuum’ JM versucht mit allergrößter Anstrengung, aber letztlich vergeblich, sich diese Wohnung als ‚sein Heim’ wieder anzueignen.
[41] Für den Puppenspieler aber bleibt er nur eine Marionette, die an Fäden oder Drähten hängt. – Doch auch der Zuschauer hängt in diesem Sinne an Fäden und wird immer weiter ins Geschehen des Film mit hineingezogen, bis er schließlich erkennen muss, dass er selbst unauthentisch und seelenlos einem acting ausgeliefert ist, dessen
.Fäden der Film nur schlecht kaschieren kann
Neben dem Aspekt des Puppen- bzw. Marionettenspiels wird hier ein Zweites wichtig, nämlich das Fantasma des Eindringens in den Körper, ja sogar in die Seele: Der Puppenspieler ist der ‚Eindringling’ (intruder)
[42] – also im bildlich-buchstäblichen Sinne jener ‚andere’, nach dessen Ähnlichkeit
.bzw. Begehren das Körperbild geformt wird
Wie Samuel Weber plausibel machen kann, hat diese ‚Intrusion’ in der amerikanischen Gesellschaft noch eine besondere Konnotation, erinnert sie doch an jene Abfallschächte (‚chutes’), die in viele Wohnungen der 40er und 50er Jahre zur Aufnahme des Hausmülls eingebaut wurden; in manchen Gebäuden gibt es sogar solche Schächte für Wäsche und Post, und es kommt nicht selten vor, dass Hausbewohner dieser Schächte dazu benutzen, um sich gegenseitig – nach der Art ‚kommunizierender Röhren’ – über die neuesten Geschehnisse austauschen. Auch ist in vielen Fällen durch diese Schächte der Wind hörbar – in gewissem Sinne ist dies die Umkehrung des Luftzugs, der die ‚Besucher’ von JM in den Körper hineinsaugt. Die ‚Wirklichkeit’ – im Sinne der ‚Wirkung’ – der existierenden Schächte wird aber im Film gleichsam ver–kehrt: Während der ‚normale’ Haus-Schacht im Allgemeinen die Ergebnisse des urbanen Lebens – den Wohlstandsmüll also – zum Verschwinden (zum ‚disparaître’) bringt, also unsichtbar macht (…aus dem Auge, aus dem Sinn…), kehrt sich das Schachtdispositiv im Film in sein Gegenteil um: „Der Malkovich-Schacht bringt seine von einem Wunsch und Willen besetzten Besucher ‚ins Auge und in den Sinn und zu Gehör’“
[43] (d.h. er bringt sie zum ‚apparaître’
[44]). Der ‚Fall’ bzw. das ‚Fallen’ (la chute) in den JM-Schacht wird so zu einem doppelten ‚Fall’, denn mit ihm wird auch die Konsistenz und damit das, was im Amerikanischen „self-contained“ genannt wird
[45], hinfällig. John Malkovichs Körper wird zu einer Art Durchgangs- oder Übergangslager, einem zeitweisen „Container“ und zu einem Beobachtungsposten, in dem man Platz nehmen kann wie in einer Theaterloge (oder im Filmtheater). Und mit der Zeit, also Zug um Zug und Filmsequenz um Filmsequenz, verwandelt sich dieser Vorposten zu einem militärischen Kommandoposten, einem Brückenkopf in einer Schlacht, von dem aus nun nichts mehr beobachtet, sondern von dem aus Kontrolle ausgeübt werden soll und wird. Da aber die Besetzung des Körpers zeitlich begrenzt ist – denn nach einer bestimmten Zeit „fallen“ die Transitbewohner wieder aus dem Schacht und zurück in die reale Welt von New Jersey –, wird der gesamte Besatzungsprozess zu einem beständigen Hinein- und
[ Hinausfall.[46
Der Körper von JM ist der Kampfplatz (Arena, Bühne), bei dem es um eine permanente doppelsinnige und -seitige ‚Besitzergreifung’ – Aneignung und Enteignung – geht, bis er sich schließlich als ein Mechanismus entpuppt, der keinen großen Unterschied zu den Spielpuppen des Puppenspielers zeigt, mit denen der Film ursprünglich begonnen hat. Hier taucht jenes Freud’sche Unheimliche auf, das die seltsamen Verwischung der Kategorien in den Medien erklären kann: Im Gegensatz zu einem lebenden Menschen lässt sich bei Marionetten oder Puppen schwerlich behaupten, sie würden ‚spielen’ (act), kommt doch deren Bewegung rein von außen, von den Fäden, an denen sie hängen; bei Puppen ließe sich dagegen eher sagen, sie würden ‚reagieren’ (react). Puppen ‚beinhalten’ (contain) nichts, ‚verkörpern’ aber dennoch das Wesen eines acting, „indem der Körper selbst zu einer Bühne wird, auf der Kräfte, die von außerhalb kommen, sich ausagieren“
[47]. Und gerade dieses ‚Am-Draht-Hängen’ ist die Quelle jenes unheimlichen und faszinierenden Gefühls, das den Zuschauer/Zuhörer – also: uns! – seit unserer frühesten Kindheit, bei einem jeden Puppenspiel immer begleitet
[48]: „Völlig ohne Authentizität, ohne Seele oder Herz, verkörpert die Puppe die Teilung und Trennung, die das ‚acting’ als eine Aktivität konstituiert, das nur durch das Partizip Präsens bezeichnet werden kann und das in der Simultanität mit seiner Äußerung besteht.“
[49] Die ‚Drähte’, von denen ihre Existenz abhängt, sind die Materialisierung dieser Simultanität und dienen auf ambivalente Weise sowohl als Verbindung wie auch als Trennung. Sie bleiben immer als Schatten sichtbar, auch wenn der dramatische ‚Plot’ des Films uns
.sie unsichtbar machen will
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Vom ‚Agonistic’ zum ‚Corporate Capitalism’ – David
«Cronenberg: «eXistenZ
Die Analyse des dritten Filmbeispiels, David Cronenbergs «eXistenZ» (ebenfalls 1999), thematisiert in einer Zusammenführung alle bisher behandelten Punkte – Status des Narrativen (Plot), dessen Beziehung zur Bedeutung (Signifikation/Signifizierung) und, vor allem, zum ‚Medium’ –, doch dieses Mal anhand eines anderen Mediums, nämlich des Computerspiels („game“). Da der Plot in einer Zeit angesiedelt ist, in der die Biotechnologie soweit fortentwickelt ist, dass die künstliche Prothese endgültig die Trennung von Natur und Synthetik, von objektiv und subjektiv hinter sich gelassen hat
[50], ist nun das Computerspiel, nach der Aussage seiner Erfinderin Allegra Geller, „viel mehr als ein Spiel…“ geworden, es geht jetzt um „… ein vollständiges Spiele-System“ (d.h. eine Art ‚Hyper-Game’). Der Begriff „System“ nimmt hier eine zentrale Stellung ein, da er unterstellt, dass aus einem begrenzten Set von Regeln eine unendliche Vielzahl an möglichen Aktionen oder Ereignissen kreiert werden kann.
[51] Während aber die Regeln anderer Spiele begrenzt sind (z.B. beim Schach, Skat, Poker etc.), sind die Regeln des neuen Spiele-Systems im Prinzip unbegrenzt (auch wenn sie bestimmten Grundregeln folgen müssen), denn sie erfahren fortwährend Erweiterungen durch die Mitspieler selbst; das macht ihre prinzipielle Offenheit, m.a.W. ihr Fähigkeit, Exklusives zu inkludieren, aus. Das Spezifische an diesem Spielsystem ist demnach, dass die Gesamtheit der Regeln nie vollständig sein wird und nie vollständig identifizierbar ist. Das aber stellt den Status dieses Spiels als solches in Frage, auch wenn die Mitspieler – hierin analog zu den an Drähten hängenden ‚Puppen’ / Menschen in «Being John Malkovich» – an externe „Gameports“ angeschlossen („ported“) sind. Einmal „plugged-in“ am „game-pod“ ergeben sich plötzliche Szenenwechsel, die durch die Technik des Film-Schnitts – seit Eisenstein, die herausragende neue Technik des Films – miteinander verbunden sind und die zugleich das Filmgeschehen in der Schwebe einer Illusion zwischen manifester
.Kontinuität und kompositorischer Diskontinuität halten
Der Protagonist Ted Pikul zeigt sich einem solchen Dispositiv gegenüber skeptisch; sein Zweifel trägt aber zugleich eine Hoffnung in sich; „Ich weiß nicht, was hier vorgeht! Wir beide stolpern zusammen in dieser gestaltlosen (unformed) Welt herum, deren Regeln und Ziele weitgehend unbekannt sind und unentzifferbar erscheinen, ja vielleicht sogar gar nicht existieren (non-existent), immer in Gefahr, von Mächten getötet zu werden, die wir nicht verstehen.“ Seine Spielgenossin und Spiele-Erfinderin Allegra Geller kann darin zwar immerhin die Spielregeln ihres eigenen ‚Spiels’ noch erkennen, doch am Schluss stellt sich heraus, dass sie gar nicht die eigentliche Erfinderin des Spiels ist – sondern nur die Hauptspielerin! Der ‚wahre’ oder ‚wirkliche’ Schöpfer und Erfinder ist ein Yevgeny Nourish und dauernd damit beschäftigt (nourished), seine Rechte über das Spiel authentifizieren zu lassen; denn auch er ist sich sicher, dass der ‚Plot’ des Spiels nicht von ihm stammt: „surely didn’t come from me“. Dieser ‚Plot’ wird produziert durch die Beiträge aller Spieler, deren physische und mentale Energien für das Funktionieren und den
[Fortgang des Spiels absolut notwendig sind.[52
Der wesentliche Unterschied dieses biotechnologischen Computer-„Spiels“ zum Theaterschauspiel lässt sich deshalb folgendermaßen umschreiben: Das Theaterspiel folgt einer agonistischen Logik und besitzt einen unauflöslich binären Charakter, der im biotechnologischen Spiel nicht (mehr) vorhanden ist; aber auch das futuristische Spiel scheint ebenfalls (noch) zum Ziel zu haben, Gewinner und Verlierer zu produzieren. Doch im Gegensatz zum Theaterspiel ist im neuen Spiel die Alternative von Gewinnen oder Verlieren (‚win-or-lose’) völlig zugespitzt auf das Ziel ‚winner-takes-all’! Und dieses Spiel wird, nach Aussage von Allegra Geller, jetzt schon von allen – aktiven und passiven Teilnehmern – gespielt: „It’s a game that everyone is already playing“. Es kommt daher zu einer gegenseitigen Überlagerung von Konkurrenten- und Komplizentum; und es wird zugleich auch die Frage nach seinem wahren Besitzer, der nicht der Erfinder ist, relativiert. Der Besitzer stellt sich bloß als Finanzier und Vermarkter des Spiels heraus, nämlich ein Unternehmen (corporation) namens „Antenna Corporation“; Allegra ist bloß die Angestellte dieses Unternehmens, ihr Kampf reduziert sich letztlich auf ein bloßes Schattenboxen, denn sie ist am Ende nichts weiter als eine (weitere) Doppelagentin, die sich – wissentlich oder nicht – für den Sieg des ganz anderen (aber: ist das wirklich etwas ‚ganz Anderes’?) Unternehmens mit Namen „Cortical Systematics“ eingesetzt hat. Der gesamte Kampf vollzieht sich zwischen den widerstreitenden Fußtruppen zweier Großunternehmen: den Game-Players und dem „realistischen Untergrund“, der die Gamer ausschalten will, da diese die Realität „deformieren“. Da wir aber wissen, dass die Spieler einen wichtigen Beitrag für den Fortbestand und für die Fortentwicklung des Spiels darstellen, ist jede ‚Deformierung’ zugleich auch eine (Neu- oder Weiter-)‚Formierung’ des Spiels. Im Grunde geht es um die Konkurrenz zweier neuer Großunternehmen namens „Pilgrimage Corporation“ und „Cortical Systematics“. In ihren Namen versteckt sich die Verbindung von ‚-image’ und ‚System’, so dass es am Ende völlig unwichtig ist, welches Unternehmen letztlich „hinter“ dem Spiel steht – „Antenna“, „Pilgrimage“ oder „Cortical Systematics“: es gibt keine Instanz mehr, die ‚hinter’ diesem Großsystem mit all seinen Redundanzen steht
[53]. Sogar die Funktion des Eigennamens als eine Art verbürgender und verbürgter Identität und Einheitlichkeit ist ausgelöscht, denn auch der Name bietet ab sofort keine Stabilität mehr. Die Bühne des ‚corporate capitalism’ wird beherrscht durch einen riesigen Malstrom von Kapitalakkumulation. Es ist deshalb kein Zufall, dass am Ende des Films das eine Spiel – eXistenZ – durch ein anderes – transCendenz – abgelöst wird; das neue Spiel übernimmt zugleich die Funktion des alten; von daher handelt es sich um eine pure Ersetzung – eine – im Nietzsche’schen Sinne – „ewige Wiederkehr des Gleichen“. Diese Theatralik lässt sich allein schon in der grammatischen Abkunft der beiden Namen oder Substantive, die den Filmtitel bezeichnen, zeigen: das Gerundium verweist auf den Fortbestand des theatralischen Dispositivs. Allegra Gellers Ausruf auf dem Schlachtfeld – „Habe ich gewonnen!?“ – ist durch die neue Logik eines systemischen Multikonzerns längst obsolet geworden. Es kommt nicht mehr darauf an, welchen Namen die Unternehmen tragen oder welcher Spieler Gewinner oder Verlierer ist; was allein zählt, ist dass es die Kapitalien sind, die nun auf die Bühne gebracht werden müssen („must be staged“), und zwar ganz im Sinne der Frage, mit der der chinesische Game-Player im Film – d.h. im ‚game’ – seine zukünftigen Mörder konfrontiert: „Are we still in the game?“ – Dann bleibt die Leinwand – aber nur kurz! – dunkel. – The Show
!...must go on
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Die beiden Kapitel sind die überarbeitete Fassung der beiden letzten
:Kapitel aus
.Hans-Peter Jäck, Auge – Blick – Theatralität
Rasche Bemerkungen zu einer
,Theorie der visuellen Wahrnehmung heute
.Frankfurt am Main (Ms), 2008
Die Überlegungen sind entstanden im Rahmen der
:Kommission des HKM Hessen unter dem Titel
Aisthetische Kompetenzen für
“Schulen für Erwachsene im Lande Hessen
.unter der Leitung von Michael Miller, 2007-08
Frankfurt am Main, November 2008
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[1]Zur theoretischen Diskussion der „Assoziation“ als einem neuen sozialen
Band im Zeitalter der Globalisierung vgl. jetzt: Bruno Latour, Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie, Frankfurt am Main (Suhrkamp) 2007 (engl. 2005), bes. Teil II: Wie kann man Assoziationen wieder nachzeichenbar machen?, S.273ff.– Assoziationen können begriffen werden als Knotenpunkte
.im neuen weltweiten Netzwerk von Individuen
[2] Wolfgang Pfeifer, Etymologisches Wörterbuch des Deutschen,
Duden, Das Herkunftswörterbuch, Mannheim, 2001.
[4] Siehe: Guy Desbord, La société du spectacle, Paris (Buchet-
Chastel) 1967; Neudruck: Paris (Gallimard) 1992.
[5] Pfeifer, a.a.O., S.1319.
[6] Samuel Weber, Psychoanalyse und Theatralität. Das Unersetzliche,
in: Riss, Zeitschrift für Psychoanalyse, Heft 46/1999-3 „Freud und Lacan“, S.137.
[7] Manfred Fuhrmann übersetzt hier: „Jammer und Schauder“; siehe Aristoteles, Poetik, hg. und übersetzt von Manfred Fuhrmann, Stuttgart (Reclam), S.21.
[8] Das englische Wort „plot“ bezeichnet i.A. ein „Stück“ (Land z.B., ein
Grundstück, eine Grabstelle), einen Grundriss, einen Plan, die Handlung, aber auch eine „Verschwörung“, ein „Komplott“; als Verb steht es für „planen“, „aushecken“, „sich verschwören“, „ein Komplott schmieden“. Das Fremdwort im Deutschen steht zu Bezeichnung der „Handlung einer epischen oder dramatischen Dichtung, eines Films“; in der EDV verwendet man es für die grafische Darstellung mithilfe eines Plotters, d.h. eines Zusatzapparats, eines Zeichengeräts, das automatisch eine grafische Darstellung der Ergebnisse liefert. Bei der Navigation ist es ein Gerät zur Aufzeichnung und Auswertung der auf dem Radarschirm erscheinenden relativen Bewegung eines Objekts bzw. der Eigenbewegung des Schiffes oder eines Flugkörpers. (Duden, Das Fremdwörterbuch). Es ist eine Kreuzung des lateinische „plautus“ – ‚platt’ – und des germanischen „blok“ und findet sich im Französischen 1765 als „billot“, einem Baumstumpf, der zum Spalten von Holz diente. (Le Petit Robert) So erscheint es in allen Fällen als ein Werkzeug, ein „Mittel“, das eine Handlung in Gang setzt, ein „Dispositiv“, wie es von Giorgio Agamben definiert wird: als die „Gesamtheit der nach einem Plan ausgerichteten, zur Disposition stehenden Mittel“. (S.o.) Das Handeln selbst („acting“) ist allerdings von ihm zu unterscheiden. (S.u.)
[11] Jacques Lacan, L’Éthique de la psychanalyse, Le Séminaire, Livre VII (1959-1960), Paris (Seuil) 1986, S.295. Deutsche Übersetzung von Gerhard Schmitz.
[12] Vgl. neuerdings: Sergio Benvenuto, Mein Nachbar, das Ungeheuer, in: Lettre International Herbst 2007, S.124-126. Benvenuto erfindet als Analogon zum „Voyeurismus“ den Begriff „Écouteurismus“. – Denselben Effekt hat schon Franz Kafka in seiner Erzählung „Der Nachbar“ geschildert.
[13] Vgl. die unendlichen Abhandlungen über die sog. „Gegenübertragungsanalyse“, die besessen sind von der Verleugnung des „Im“-Bilde-Seins des Analytikers.
[14] Vgl. dagegen: „Freuds Denken und Schreiben blieb auf eigentümliche Weise szenisch und damit auch theatralisch. Das trifft ebenso sehr auf Lacan zu, der in der Instanz des Buchstabens vorschlug, die „Rücksicht auf Darstellbarkeit“ ins Französische als «égards pour les moyens de la mise en scène» zu übersetzen.“ S. Weber, Psychoanalyse und Theatralität, a.a.O., S.136.
[15] Vgl. auch: Florence Dupont, Aristote ou le vampire du théâtre occidental, Paris (Aubert) 2007. – Dagegen: vgl. z.B. Denis Guénon, Pour le théâtre, merci Aristote, in: Le monde des livres, 26. Oktober 2007, S.2: «Spielen heißt mit den Wörtern, den Ideen spielen – und natürlich [sic!] mit den Gefühlen oder den Emotionen.» [Hervorhebung HPJ] – Eine implizite Kritik des aristotelischen Theaters leistet schon Antonin Artaud, etwa in seinem Zweiten Manifest „Das Theater der Grausamnkeit“: „Wenn die für das Theater bestehende Notwendigkeit, wieder in jene Quellen einer Poesie einzutauchen (…), durch eine Rückkehr zu den alten ursprünglichen Mythen verwirklicht ist, werden wir von der Bühne und nicht vom Text [Hervorhebung HPJ] verlangen, dass sie diese alten Konflikte gestaltet und vor allem aktuell macht; diese Themen werden also direkt aufs Theater gebracht und zu Bewegungen, Ausdrucksformen und Gebärden gestaltet, bevor sie in Worte gegossen werden. Auf diese Weise werden wir auf den Theaterglauben vom Text und auf die Diktatur des Schriftstellers verzichten.“ A. Artaud, Das Theater der Grausamkeit, Zweites Manifest, in: ders., Das Theater und sein Double, Frankfurt am Main (Fischer) 1983, S.132f.
[16] S. Weber, a.a.O., Anm.3, S.160. – Siehe auch: ders., Die Bedeutung des Thallus, in: ders., Freud-Legende, Wien 1989, S.67-85.
[17] Samuel Weber, Humanitäre Interventionen im Zeitalter der Medien, in: Politiken des Anderen Band 1: Eingriffe im Zeitalter der Medien, Hg. H. Pfeil/H.-P. Jäck, Rostock-Bornheim-Roisdorf (HFW- Hanseatischer Fachverlag für Wirtschaft) 1995, S.19.
[18] Zum Nationalismus: vgl. Dieter Langwiesche, Mit Gewalt zum Glück. Die Zusammengehörigkeit von Nation und Krieg in der europäischen Geschichte, in: Frankfurt Allgemeine Zeitung, Beilage, vom 1. Februar 1997, S.1. – Und: Edgar Morin, Das Nationalgefühl. Seine Komponenten und seine Entstehung, in: Lettre International, Herbst 1999, Heft XIV, S.92-93.
[19] Hier wird Jean Baudrillards „Logik der Simulakra“ angesprochen.
[21] Vgl. Dazu auch: Niklas Luhmann, Die Realität der Massenmedien, 2. Auflage (Westdeutscher Verlag) Opladen 1995, bes. S.58–81, über die sog. ‚Attraktoren’ und ‚Selektoren’ im Nachrichtenwesen.
[22] Damit wäre auch Abstand zu nehmen von jeglichen Verschwörungstheorien, wie sie heute in aller Welt, nicht zuletzt dank der Medien, in Umlauf gesetzt werden.
[23] Aus: Pfeifer, Wolfgang (Hg.), Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, München (dtv)1993, S.854.
[24] S. Weber, Humanitäre Interventionen, a.a.O., S.20.
[25] Das englische Wort “bite” – „Biss“ – bringt dabei bemerkenswerterweise das Vampirische der Medienproduktion zum Ausdruck; darauf verweist S. Weber, a.a.O., S.24.
[26] S. Weber, Humanitäre Interventionen, ibid.
[27] S. Freud, Das Unheimliche (1919), in: S.F., StudA Band IV, Frankfurt am Main (Fischer) 1982, S.244.
[28] A.a.O., S.248. – Hervorhebung HPJ.
[29] A.a.O., S.267. – Aufgrund seiner analytischen Erfahrung kann Freud das ‚Unheimliche’, das uns solchermaßen berührt, auf zwei im Leben des Subjekts immer wieder auftauchende Erfahrungen zurückführen: einmal auf das sog. ‚Verdrängte’, zum andern auf das sog. ‚überwunden Geglaubte’: „Das Unheimliche des Erlebens kommt zustande, wenn verdrängte infantile Komplexe durch einen Eindruck wieder belegt werden oder wenn überwundene primitive Überzeugungen wieder bestätigt scheinen.“ (A.a.O., S.271) Damit definiert er gerade das Bedrängende am Unheimlichen.
[31] A.a.O., S.22. – Ähnlich auch in: Dany-Robert Dufour: Vivre en troupeau en se pensant libres – La télévision forge-t-elle des individus ou des moutons?, in: Le monde diplomatique,janvier 2008, p.20-21.
[32] Vgl. Marshall McLuhan, Die magischen Kanäle (Understanding media), Düsseldorf – Wien (Econ) 1968; und ders., Die mechanische Braut – Volkskultur des industriellen Menschen, 1951; dt. Amsterdam (Verlag der Kunst) 1996.
[33]A.a.O., S.26. – Giorgio Agamben ist in seinem Aufsatz “Was ist ein Dispositiv?” (s.o.) soweit gegangen, die mediengestützten Entsubjektivierungsprozesse zur Grundlage der allgemeinen politischen Verunsicherung zu machen: „Von daher lässt sich aber auch erklären, weshalb sich die Macht im Zustand einer unheimliche Unruhe befindet, sobald sie sich diesem allerwillfährigsten und unterjochtesten Gesellschaftskörper, der jemals auf dem Boden der Menschheitsgeschichte existiert hat, gegenübersieht. Es ist deshalb begreiflicherweise geradezu paradox, wie sich in diesem widerstandslosen Bürger der post-industriellen Gesellschaften (den man mit Erfolg bloom genannt hat) einen potenziellen Terroristen sehen lässt – ausgerechnet dieses Wesen, das mit Eifer und Hingabe alles ausführt, was man von ihm verlangt, und das sich ohne die geringste Widersetzlichkeit jeder Alltagsmaßnahme fügt, die seine Gesundheit, seine Fluchtmöglichkeiten, seine Aktivitäten, seine Nahrung wie auch seine vielfältigen Arten des Begehrens betreffen, die bis ins Letzte durch Dispositive kommandiert und kontrolliert werden. Vielleicht ist gerade deshalb dieses Wesen als potenzieller Terrorist zu identifizieren! Während die europäische Normierungswut allen Staatsbürgern Dispositive der Biometrie (vom Fingerabdruck bis zum biometrischen Passfoto) aufzwingt, die man im XIX. Jahrhundert dazu benutzt hat, kriminelle Rückfalltäter zu identifizieren, verwandelt die allgegenwärtige Videoüberwachung den öffentlichen Raum unserer Städte in Innenräume riesiger Gefängnisse. In den Augen der Autorität ähnelt nichts so sehr einem Terroristen wie der kleine Mann der Straße (und vielleicht liegt sie damit gar nicht so falsch!).“ S. Giorgio Agamben, Qu’est-ce qu’un dispositif?, Paris (Rivages poche) 2007, S.47-49; Übersetzung HPJ.
[34] Samuel Weber, “Being… and eXistenZ”: Some Preliminary Considerations on Theatricality in Film, in: ders., Theatricality as Medium, New York (Fordham University Press) 2004, S.314.
[35] Vgl. dazu: Jacques Derrida, Donner la mort, Paris (Seuil) 1999, bes. S.56ff.
[37] S. Weber, Theatricality «in» Film: Some Prelimary Considerations, unveröffentlichtes Manuskript 2000, S.2. – Es handelt sich hier um eine Vorstudie der o.g. Veröffentlichung.
[38] Zur Unbestimmbarkeit der Stimme im Kino vgl. Michel Chion, La voix au cinéma, in: Cahiers du Cinéma, Paris (Éditions de l’Étoile) 1982; und seit Neuestem: Mladen Dolar, His Master’s Voice. Eine Theorie der Stimme, Frankfurt am Main (Suhrkamp) 2007.
[39] Eine „-barkeit“ zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie, verkürzt gesagt, eine Art Potenzialität des Darstell-„bar“-ren bildet. S. folgende Anm.
[40] Samuel Weber spricht in seiner Analyse zu Walter Benjamins Medientheorie von einer „–barkeit“; vgl. S.W., Benjamins „-barkeiten“– «Schillernd einen Nu im Leeren stehen...», Paris 2005 (unveröffentlichtes Manuskript). – Dazu jetzt auch und umfassend: Samuel Weber, Benjamin’s –abilities, Cambridge–Massachusetts– London (England) (Harvard University Press) 2008.
[41] JM agiert wie das Descartes’sche Subjekt, das gleichsam wie durch ein anderes Subjekt gesteuert wird; die ‚Drähte’ der Puppe JM werden von innen“ gezogen. – Das Malkovich-Syndom wird als Zitat wieder aufgenommen in Brad Birds Film «Ratatouille» (USA 2007, Produktion: Disney-Pixar): Die Feinschmecker-Ratte Remy steuert, versteckt unter der Kochmütze, den jungen, des Kochens nicht mächtigen Küchenjungen mittels der Manipulation der Haare; die Haare fungieren hier als Drähte einer – computerkreierten Figur! Dies ist eine selbstironische Volte in diesem voller Filmzitate strotzendem Film! Im Gegensatz zu „Being John Malkovich“ wird hier das Unheimliche der Marionette durch absurde Übersteigerung ins Komödiantische verkehrt.
[42] Zu diesem Motiv vgl.: Jean-Luc Nancy, Der Eindringling – Das fremde Herz (1999), dt. Berlin (Merve) 2000; ders. Corpus, Paris (Éditions Métailié) 2000; ders., 58 indices sur le corps/Extension de l’âme, Cap Saint-Ignace/Québec (Éditions Nota Bene) 2004.
[43] Samuel Weber, “Being… and eXistenZ”: Some Preliminary Considerations on Theatricality in Film, in: ders., Theatricality as Medium, New York (Fordham University Press) 2004, S.317. – Die Inbesitznahme des Körpers spielt auch in anderen berühmten Filme die zentrale Rolle: vgl. z.B. Fritz Lang, Das Testament des Dr. Mabuse (1933), Don Siegel, The Invasion of the Body Snatchers (1956), Ridley Scott, Alien (1979).
[44] Vgl. zur Dialektik von ‚apparaître’ und ‚disparaître’ den einschlägigen Abschnitt, verbunden mit der deutschen Fußnote, bei: Jacques Derrida, Marx’ Gespenster, Frankfurt am Main (Fischer), 1996, S.21f., bes. Anm.7: „Es gibt Entschwundenes (disparu) in der Erscheinung (apparition) als dem Wiedererscheinen des Entschwundenen selbst.“
[45] Ein Begriff, der nur sehr schwer zu übersetzen ist, da er das Wort „container“ mitbeinhaltet.
[46]Auch für den Zuschauer wird das Geschehen immer mehr zu einem ‚Fall(en)’, nämlich einem ‚Reinfall’, weil er der Suggestion des Film anheim fällt.
[47] Samuel Weber, a.a.O., S.319.
[48] In diesem Zusammenhang sei auf die in den letzten Jahren in den Fußgängerzonen der großen Städte mehr und mehr auftauchenden ‚Standbilder’ hingewiesen. Ein lebendiger Mensch imitiert hier eine Puppe, die entweder bewegungslos oder mittels mechanischer Bewegungen die Aufmerksamkeit inmitten der hektischen Einkaufsmeilen auf sich zieht. Der sich für gewöhnlich recht schnell bildende Pulk aus Zuschauern (allen Alters!) könnte als Zeichen jener Faszination am ‚Unheimlichen’, wie wir es hier zu definieren versucht haben, gelten: Natürliches und Kultürliches, Subjektives und Objektives, Lebendes und Totes sind miteinander unauflöslich vermischt und rühren ans Verdrängte und an längst für überwunden Gehaltenes.
[49]Vgl. z.B. Denis Dilba, Unter Strom – Elektronik dringt immer tiefer in den menschlichen Körper ein. Implantierbare Chips gibt es sogar schon fürs Gehirn. Kaum ein Hersteller kommt an den neuen Technologien vorbei, in: mebiz 11/08. Magazin für Gesundheitswirtschaft, Beilage der Financial Times Deutschland, November 2008, S.4-6.
[51] Allegra Geller weist während der Geschichte darauf hin, dass ein gewöhnlicher Spieler – etwa ein Pokerspieler – sehr wohl in der Lage sein kann, sogar den ‚Erfinder’ der Pokerspiel-Regeln zu besiegen.
[52] Hierin kann Cronenbergs Film als Vorbild für die „Matrix“-Reihe von Larry und Andy Wachowski (2000-2003) gesehen werden.
[53] Hierin lässt sich die Kritik aller Verschwörungstheorien gleich welcher Provenienz (seien sie marxistischen oder allgemein-fundamentalistischen, d.h. christlichen oder islamistischen Ursprungs) sehen. – Es ist demnach nicht weiter verwunderlich, dass dieser Film kurz vor dem Höhepunkt – und dem späteren weltweiten Zusammenbruch (2008) – der riesigen „Finanzblase“ des
!globalisierten Kapitalismus gedreht wurde
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