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Kafka und das Judentum
Mahmood Falaki
„Ebenso wenig Rettung[...] fand ich im Judentum“ (Brief an den Vater)
Das Interesse Kafkas am Judentum, bzw. an seiner Herkunft wird manchmal als sein „jüdisches Volksbewusstsein“1 bezeichnet. Kafkas Freund, Felix Weltsch, hielt Kafka sogar für einen „glühenden Zionisten“.2 Max Brod meinte, dass es Kafka „mit zunehmender Reife immer enger zum Judentum zog.“3
Kafka interessierte sich bestimmt für das Judentum. Manche von ihm gelesenen Bücher, wie „Zur Judenfrage“ von Karl Marx, „Aus dieser und jener Welt“ von Jizchak Leib Perez, „jüdische Bauern“, „ostjüdische Geschichte“4 u. a. weisen darauf hin, dass er seine Herkunft tiefer kennen lernen wollte.
Er läßt sich nicht nur die zionistische Wochenschrift „Selbstwehren“ nachsenden, sondern er bietet dem Heft sogar seine Mitarbeit an.5 Und als die Judenstaatsidee Theoriediskussion der Juden war, welche als psychischer Treibsatz die Juden zur „Berufsumschichtung“ bewegte, sagte Kafka im Gespräch mit Janouch (1920) das, was eines Romantikers Traum ähnelt:
„Ich träume davon, dass ich als Landarbeiter oder Handwerker nach Palästina gehe[...], um ein sinnvolles Leben in Sicherheit und Schönheit zu finden[...]“6
Seine Beschäftigung mit dem Judentum und sein Traum von einem „sinnvollen Leben in Sicherheit und Schönheit“ entspringt seinem Wunsch nach eigener und individueller Existenz, frei von der Last der „ungeheuren Entfremdungen“.
Aber die Tatsache, dass Kafka sich für jüdische Belange interessierte und daran arbeitete, gibt kein Recht zu der Annahme, er sei „blühender Zionist“ gewesen, oder er habe ein „Volksbewusstsein“ und „nationaljüdische Gesinnung“ gehabt, wie Binder zu verifizieren versucht.7 Kafkas Werke, sowohl die Briefe und
Tagebücher als auch seine Erzählungen, beweisen eine andere Auffassung, dass er nämlich keine religiöse Intention und kein Zugehörigkeitsgefühl zum jüdischen Volk hatte. Er ist, wie Kurzweil beschreibt, „moderner, entwurzelter Jude“.[8]
Er erlebt das Judentum, sowohl als Kind, wie auch als Erwachsener anders als man es von einem gläubigen Juden oder Zionisten erwarten sollte. Als Kind hatte er Furcht und Zittern im Tempel erlebt:
„Ich habe dort [im Tempel] auch viel Furcht gehabt, nicht nur vor den vielen Leuten mit denen man ihn nähere Berührung kam, sondern auch deshalb, weil Du nebenbei erwähntest, dass auch ich zur Thora aufgerufen werden könne. Davor zitterte ich jahrelang.“[9]
Er kritisiert seines Vaters aus einer „kleinen ghettoartigen Gemeinde“ mitgebrachtes Judentum und findet „ebenso wenig Rettung vor Dir im Judentum“.10 Er spricht, in einem Brief an Max Brod (31. 7. 1922), vom „Mangel jeden festen jüdischen Bodens unter meinen Füßen“.11 In einem Brief an Milena stellt er seine Enttäuschung vom Judentum dar:
„Manchmal möchte ich sie eben als Juden (mich eingeschlossen) alle in die Schublade des Wäschekastens dort stopfen, dann warten, dann die Schublade ein wenig herausziehen, um nachzusehen, ob sie schon alle erstickt sind, wenn nicht, die Lade wieder hineinschieben und es so fortsetzen bis zum Ende[...]“12
Seine Hoffnung, sein Leben durch Einbindung „sinnvoll“ zu machen und „Sicherheit und Schönheit“ zu erreichen, vergeht, wie in anderen Fällen. Er fühlte sich körperlich und seelisch im Niemandsland, wobei er Verzweiflung, Verirrung und Wurzellosigkeit in seinen Werken gestaltet:
„Verlassen sind wir doch wie verirrte Kinder im Wald“.13 „An dem geringen Positiven sowie an dem äußersten, zum Positiven umkippenden Negativen, hatte ich keinen ererbten Anteil. Ich bin nicht von der allerdings schon schwer
sinkenden Hand des Christentums ins Leben geführt worden wie Kierkegaard und habe nicht den letzten Zipfel des davon fliegenden jüdischen Gebetsmantels wie die Zionisten. Ich bin Ende oder Anfang“.14
Er hat seine Meinung über das Judentum, besonders über den Zionismus, in einem Gespräch mit Janouch eindeutiger geäußert:
„Mit dem Zionismus wächst der Antisemitismus[...], die Selbstbesinnung der Juden wird als Verneinung der Umwelt empfunden[...] Natürlich, dass man dadurch für die Dauer gar nichts gewinnen kann.“15
Die entfremdete Existenz Kafkas als Jude wird am besten in seiner kleinen Erzählung „Die Kreuzung“ dargestellt:
„Ich habe ein eigentümliches Tier, halb Kätzchen, halb Lamm. Es ist ein Erbstück aus meines Vaters Besitz. Entwickelt hat es sich aber doch er in meiner Zeit, früher war es viel mehr Lamm als Kätzchen. Jetzt aber hat es von beiden wohl gleich viel.“16
Sich als wehrloses Lamm unter den bösen Wölfen zu präsentieren gehört zur Vergangenheit des Judentums, weil dieses Mischwesen „früher viel mehr Lamm“ war. In des Erzählers Zeit, also in Kafkas moderner Zeit entwickelt sich dieses zu einem „Halbkätzchen“, „nicht genug damit, dass es Lamm und Katze ist, will es fast auch noch ein Hund sein“.17
Also wenn das alte Judentum durch seine Lammrolle noch eine Einheit bildete, verzweifelte Kafka an der Existenz der modernen assimilierten Juden. Er ist von seiner ursprünglichen Lammseele durch Assimilation entfremdet, ohne eine neue befreiende Existenz zu erlangen. Im Gegenteil: Die Fremdheit wurde noch intensiviert; fremd seiner jüdischen Herkunft und fremd sich selbst, oder, wie Glatzer meint, „alle waren ihm Fremde; sein eigener Körper war ihm fremd.“[18] Kafka zeigt nach Kurzweils Exegese, „die Züge der Selbstentfremdung und Selbstentwertung, die von der judenfeindlichen Außenwelt geprägt wurden.“[19]
Diese Entfremdung wird aber nicht nur „von der judenfeindlichen Außenwelt“, sondern auch von seinen eigenen Erlebnissen mit dem Judentum im allgemeinen geprägt. Daher ist seine Enttäuschung so groß und tiefgehend, dass er sich selbst nicht mehr kennt. Das Tier ist eine Chimäre, ein absolut fremdartiges Mischwesen, das „keinen Ausweg mehr finden konnte.“[20]
In dieser Erzählung werden die Fragen gestellt, die der Fragwürdigkeit der Existenz Kafkas, in seiner realen Welt, entsprechen:
„Da werden die wunderbarsten Fragen gestellt, die kein Mensch beantworten kann: Warum es nur ein solches Tier gibt, warum gerade ich es habe... ob es sich einsam fühlt...“[21]
Diese Fragen kann aber „kein Mensch beantworten“, was die absolute Enttäuschung Kafkas hervorruft. Er will nicht mehr erklären, weil es keine Erklärung für ein solch vollkommen fremdartiges Mischwesen gibt.
Kafka fühlt sich wie ein Mischwesen, das keine eigene Identität besitzt. Er konnte seine Identität weder im Judentum noch in irgendwelchen Nationalgefühlen finden. Ein in Prag geborener und aufgewachsener Kafka wurde wegen seiner jüdischen Abstammung nicht von Tschechen als Tscheche angenommen. Er war weder Tscheche[22] noch Deutscher. Er war böhmischer deutschsprachiger Jude. Diese Mischung brachte ihn in die Lage, dass er von
allem etwas und zugleich fremd von allem war. Hinzu kam die Verzweiflung an der labyrinthischen Irrfahrt durch die moderne Komplexität. Die Verzweiflung an der Möglichkeit einer freien Existenz ist derart verinnerlicht worden, dass er die „Erlösung“ im Tode fand:
„Vielleicht wäre für dieses Tier das Messer des Fleischers eine Erlösung, die muss ich ihm als einem Erbstück versagen.“[23]
Solche tiefgehende Verzweiflung daran, jemals von der entfremdeten verwirrenden Existenz erlöst zu werden, wird nicht nur in seinen Erzählungen und Romanen dargestellt, wobei das entfremdete Wesen wie Gregor Samsa in „Die Verwandlung“ oder der Landvermesser K. in „Das Schloss“ durch ihren Tod erlöst werden. Diese Art von Erlösung tritt auch in seinen Briefen und Tagebüchern in Erscheinung:
„Von außen gesehen ist es schrecklich, erwachsen, aber jung zu sterben oder gar sich zu töten. In gänzlicher Verwirrung, die innerhalb einer weiteren Entwicklung Sinn hätte abzugehn, hoffnungslos oder mit der einzigen Hoffnung, dass dieses Auftreten im Leben innerhalb der großen Rechnung als nicht geschehen betracht werden wird. In einer solchen Lage wäre ich jetzt. Sterben heiße nichts anderes, als ein Nichts dem Nichts hinzugeben[...]“[24]
In Bezug auf Kafkas Verbundenheit mit dem Judentum kommentiert Schoeps, „den Helden Kafkas (sei) das Gesetz Gottes verlorengegangen.“[25] Kurzweil fügt noch etwas hinzu, dem in diesem Zusammenhang zu zustimmen ist: „Das Gesetz wie das ganze Judentum sind sinnlos, beziehungslos, verfremdet und absurd geworden.“[26]
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Webseite von Mahmood Falaki:
http://www.mahmood-falaki.com/
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1
Aussage von Friedrich Thieberger, einer der Hebräischlehrer Kafkas (1952, S. 52). In: Binder, S. 570
2
ebd.
3
Max Brod: Über Franz Kafka. Eine Biographie... Frankfurt/Hamburg 1966, S.264
4
Vgl. Jürgen Born: Kafkas Bibliothek. Ein beschreibendes Verzeichnis. Frankfurt a.M. 1990, S. 109 ff
Binder, S. 572
Gustav Janouch: Gespräche mit Kafka. Frankfurt a.M. 1951, S. 17
Binder, S. 570-578
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Zu Kafka:
S. 123
9
Brief an den Vater, S. 992 f
10
a.a.O., S. 991
11
Emrich, S. 421
12
Franz Kafka: Briefe an Milena. hrsg. von Jürgen Born u. Michael Müller. Frankfurt 1983, S. 57
13
Franz Kafka: Briefe 1902-1924; S. 19 (Brief an Oskar Pollak -9. November 1903)
14
In: Politzer, S. 250
15
Gustav Janouch: Gespräche mit Kafka. S. 151
16
Franz. Kafka: Sämtliche Erzählungen. hrsg. von Paul Raabe, S. 302
17
a.a.O., S. 303
18
Glatzer, S. 12
19
Zu Franz Kafka, S. 131
20
Franz Kafka; Sämtliche Erzählungen, S. 303
21
a.a.O., S. 301
22
„[...]Ein Tscheche? Nein[...]“: Briefe 1902-1924, S. 270
23
Franz Kafka; Sämtliche Erzählungen, S. 303
24
Tagebücher, S. 336f
25
H. J. Schoeps: The tragedy of faithlesness. The Kafka problem, S. 287-297. In: Günter Heintz: zu Franz Kafka, S. 129
26
Kurzweil: Franz Kafka- Jüdische Existenz ohne Glauben. In: zu Franz Kafka, S.129
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