„Ich habe kein normales Leben
mehr"
Provokation
muss sein, findet der iranische Musiker Shahin Najafi. Er bricht gezielt Tabus
wie Drogensucht, Sexualität, Korruption. Damit macht er sich Feinde.Interview:
Daniel Bax
taz: Herr Najafi, wovon handelt Ihr Song „Imam Naghi“?
Shahin Najafi: Vor rund einem Jahr gab es
eine humoristische Facebook-Kampagne, die sich darum drehte, den 10. Imam der
Vergessenheit zu entreißen. Diesen Imam gibt es in der schiitischen Mythologie,
aber er spielt darin keine große Rolle. Das war eine reine Juxkampagne, die
sich ein paar Leute zum Spaß ausgedacht haben. Ich habe das aufgegriffen und
meinen Song als eine Art Anrufung an den Imam Naghi verfasst, er möge doch
bitte mit einigen politischen und gesellschaftlichen Missständen im Iran
aufräumen. In keiner einzigen Silbe habe ich darin die Religion beleidigt!
Es soll eine Fatwa des Großajatollah Ali
Safi-Golpayegani geben, nach der Sie wegen dieses Lieds den Tod verdient
hätten. Welche Folgen befürchten Sie?
Die Fatwa war ursprünglich gar nicht gegen mich gerichtet,
sondern gegen alle, die sich blasphemisch äußern. Sie hat auch gar kein Datum.
Aber irgendwelche Gruppen aus dem Umfeld des Regimes, genauer gesagt der
Revolutionsgarden, haben das aufgegriffen, und inzwischen wurde sogar ein
Kopfgeld auf mich ausgesetzt. Wer dahintersteht, ist schwer zu sagen. Die
Gefahr ist aber, dass sich jetzt irgendwer berufen fühlt, dieses Urteil
auszuführen.
Für wie akut halten Sie die Gefahr?
Wir nehmen das sehr ernst. Ich kann jetzt kein normales Leben
mehr führen und mich nicht mehr frei bewegen. Mir wurde geraten, die Stadt oder
sogar das Land zu verlassen. Aber wohin soll ich gehen – und wie?
Der Song ist ja recht provokant formuliert. War
Ihnen nicht klar, dass er im Iran harsche Reaktionen provozieren würde?
Ehrlich gesagt, wir haben nicht mit solchen Reaktionen
gerechnet. Der Song war nicht als Provokation gedacht, auch wenn er jetzt zu
einer solchen stilisiert wird. Ich möchte auch betonen, dass ich nichts gegen
den Islam habe. Ich kämpfe nicht gegen eine Religion, sondern gegen dieses
Regime. Und ich finde, dass niemand dem Islam so geschadet hat wie dieses
Regime.
Wann und wo ist der Song erschienen?
Er ist am 7. Mai auf meiner Facebook-Seite erschienen, die hat
200.000 Fans. Aber er hat sich in Windeseile weiterverbreitet, und dann kamen
auch schon die ersten Beschimpfungen. Aber das gab es schon bei früheren Songs.
Die sind ja alle eher gesellschaftskritisch.
Wie erklären Sie es sich, dass Sie nun mit dem Tode
bedroht werden?
Ich weiß es nicht. Ich denke, sie befürchten, dass ich
eine zu große Wirkung auf die Jugend habe. Sexualität, Homosexualität,
Drogensucht – das sind Themen, über die im Iran nicht geredet werden darf. Ich
tue das – und damit bin ich eine Bedrohung. Das ist wohl der Hauptgrund.
Schon das Bild, das den Song im Internet illustriert,
ist provokant: Es zeigt eine Moscheekuppel, die einer weiblichen Brust gleicht,
und darauf ist die Regenbogenfahne der Homosexuellenbewegung gehisst. Was haben
Sie sich dabei gedacht?
Das hat sich ein Zeichner ausgedacht, der sich das Lied
angehört hat. Es ist seine Interpretation – und eine Anspielung auf die Praxis
der Zeitehe im Iran, die nichts anderes als staatlich sanktionierte Prostitution
ist.
Auch normale Muslime könnten das als Provokation
empfinden. Musste das denn sein?
Ja, es musste sein. Weil: Wenn man die Probleme im Iran nicht
anspricht, dann bleiben sie. Man muss aber auch dazu sagen, dass es ein
persisches Lied ist, dass sich an Iraner richtet. Dass es über diese Kreise
hinaus bekannt werden würde, war ja nicht abzusehen.
Sehen Sie Parallelen zwischen ihrem Fall und dem des
britischen Schriftstellers Salman Rushdie?
Ich sehe da wenig Parallelen. Der größte Unterschied
für mich ist: Rushdie konnte noch Bücher schreiben, nachdem er untergetaucht
war. Ich dagegen kann meine Arbeit nicht mehr fortsetzen, denn als Sänger und
Musiker muss ich auftreten. Unsere Europatournee haben wir jetzt abgesagt. Und
ich habe keine Ahnung, wie es jetzt weitergehen soll.
In deutschsprachigen Medien wurden Sie als „iranischer
Eminem“ bezeichnet. Ist das eine treffende Bezeichnung?
Nein, denn ich bin kein Rapper,
schon gar kein Gangsta-Rapper. Ich mache Jazz, Rock und mache eben auch Rap.
Ich sehe mich als gesellschaftskritischen, nicht als politischen Musiker, denn
ich fühle mich keiner politischen
Quelle:
FAZ: http://www.taz.de/!93251/