Verleger Madjid Mohit: In der alten Heimat fremd
Vom politischen Flüchtling zum erfolgreichen
Verleger: Der Bremer Sujet-Verlag des gebürtigen Iraners Madjid Mohithat
hat sich auf deutschsprachige Literatur von Exil-Ausländern
spezialisiert. Der Verleger pendelt gemeinsam mit seinen Autoren
zwischen vertrauter und fremder Kultur und erreicht dabei immer größere
Ausschläge - inzwischen publiziert er auch Kinderbücher und Romane.
Madjid Mohit liebt Bücher. Er ist mit Büchern
aufgewachsen. Genauso wie der Rest seiner Familie. In der mittlerweile
dritten Generation verlegt seine Familie Bücher im
Iran.
Sein Großvater publizierte das erste deutsch-persische Wörterbuch. Doch
die Lage für Privatverleger im Iran ist schwierig. Jahrelang wurde
Mohits Arbeit durch die Zensur behindert. Mit dem
Todesurteil von Ajatollah Chomeini gegen den indisch-britischen Schriftsteller Salman Rushdie
im Jahr 1989 verschlimmerte sich die Situation weiter. Die Arbeit von
Privatverlegern war teilweise überhaupt nicht mehr möglich.
Dann im Jahr 1990 hat Mohit die Nase voll. Er
entschließt sich zur Flucht aus dem Iran. Mit falschen Papieren gelangt
er über Ägypten nach Zypern. Sein Ziel: Kanada, er spricht damals nur
englisch. Doch am Frankfurter Flughafen endet seine Reise jäh. Der
Bundesgrenzschutz hindert ihn an der Weiterreise. Mohit strandet in
Deutschland. "Ich konnte nicht zurück, deshalb bin ich hier geblieben."
Mohits
Sujet-Verlag in
Bremen
ist heute eine Erfolgsgeschichte. Was zunächst in einem Keller mit
einer alten Druckmaschine beginnt, ist heute ein Verlag, der bereits 72
Bücher publiziert hat. Besonders am Herzen liegt dem Verleger die Lyrik.
"Sie ist für mich die schönste literarische Form." Leider sei der Markt
dafür jedoch sehr klein. Ein Traumprojekt wäre für ihn eine
Veranstaltungsreihe über deutsche und iranische Lyrik in zwei Sprachen.
Bislang ist dies jedoch an der Finanzierung gescheitert. In der
Vergangenheit kam es durch die Arbeit des Verlages bereits zur
Zusammenarbeit von deutschen und ausländischen Autoren.
"Iranische Kultur und
Literatur
ist ein Teil von mir, daher ist es mir wichtig, die iranische Literatur
bekannter zu machen und ihr ein Forum zu bieten." Lange Zeit
spezialisierte sich Mohits Verlag auf iranische Exilliteratur. Der
Verleger hatte zunächst vor, Werke iranischer Autoren in deutscher
Übersetzung zu publizieren. "Dann aber hat es sich so entwickelt, dass
wir fast nur ausländische Autoren bei uns haben, die hier leben und in
Deutsch schreiben."
Eigentlich, ist das ein Widerspruch: Ausländische
Autoren, die hier leben. Doch genau das ist auch das Spannungsfeld, in
dem sich viele der
Bücher
des Verlags bewegen. Es geht um die Auseinandersetzung mit der Fremde,
mit einer anderen Kultur, mit dem eigenen Platz in der Welt.
"
Gare du Nord"
beispielsweise von Abdelkader Djemai handelt von drei alten zufriedenen
Algeriern in Paris, die sich dennoch Gedanken darüber machen, wie es
wohl sein mag, fernab der Heimat zu sterben. "Das ist vielleicht das
erste Mal, dass jemand über Migration schreibt, ohne dass dabei
irgendwelche Konflikte im Vordergrund stehen. Das ist es, was Literatur
schon immer geschafft hat; sie hinterlässt Spuren und
entwickelt Einfluss."
Totalitäre Funktion des Islam
Genau genommen sei der Begriff Exilliteratur
deswegen nicht ganz richtig, so Mohit. Zu eindimensional. "Diese Art von
Büchern verursacht andere literarische Formen, wie
Integrationsliteratur oder Luftwurzelliteratur." Es ist gerade diese
besondere entwurzelte Lage, die für die Arbeit dieser Autoren so
ausschlaggebend ist. "Es sind Menschen, die immer wieder nach einer
neuen Identität suchen und bei ihren Werken Fremde, Migration,
Identitätslosigkeit oder das Anders-Sein thematisieren."
Im Hamburg-Krimi "Schiller Connection" von Shahram
Rahimian hilft der Exil-Iraner und Übersetzer Josef Ayene, inmitten
seiner Midlifecrisis der Polizei dabei, einen Mord an einem Iraner
aufzuklären. Der Protagonist verliert sich immer mehr in seiner eigenen
Vergangenheit, in politischen Ideologien, in einer Liebesbeziehung zu
einer Deutschen und vor allem in der Suche nach der eigenen Identität.
Das erste Buch, das im Verlag erschien war Mahmood
Falakis "Die Schatten". Es handelt von einem Iraner, der auf der Suche
nach dem Mörder seines Onkels eine gedankliche Aufarbeitung seiner
Kindheitserinnerungen betreibt und sich so mit seiner ersten Liebe, der
Rolle der Frau in der Gesellschaft und der totalitären Funktion des
Islam auseinandersetzt. Aufgrund von erotischen Passagen und Gesellschaftskritik ist das Buch im Iran verboten.
Besonders tragisch findet der Bremer Verleger die
öffentliche Wahrnehmung des Irans infolge der medialen
Berichterstattung. "Der Iran wird als traditionell islamisches Land
gesehen, und genau das will auch die iranische Regierung, große Teile
der Bevölkerung sind jedoch liberal und modern eingestellt." Vor allem
das iranische Kino und die
Literatur würden hier ein sehr viel differenzierteres Bild über das Land liefern.
Auch geschichtlich nimmt die iranische Gesellschaft
eine Sonderstellung ein. Im Gegensatz zum Großteil der Länder des nahen
Ostens, ist der
Iran
kein arabisches, sondern ein persisches Land mit einer viel älteren
Kultur. Dies schlägt sich bereits in der Sprache nieder. Alle
"iranischen Sprachen" sind im Gegensatz zu arabisch eine Untergruppe der
indogermanischen Sprachfamilie.
Die Islamisierung des Irans ist ein Bruch der kulturellen Entwicklung des Landes, so Mohit. Auch in Bezug auf den
Islam
hat der Iran eine Sonderstellung. Hier entstand das Schiitentum und
auch heute noch stellen die Schiiten die größte Bevölkerungsgruppe dar.
Abgesehen vom Irak sind in allen anderen islamischen Staaten die Suniten
in der Mehrheit.
Gerade in dieser kulturellen Diversität sieht Mohit
aber auch eine Stärke des Irans. Das Land habe immer eine Vorreiterrolle
in der Region gespielt. Mit Mohammed Mossadegh war es von 1951 bis 1953
das erste Land im islamischen Kulturraum, das einen demokratisch
gewählten Ministerpräsidenten hatte, der jedoch aufgrund
wirtschaftlicher Interessen von den USA mithilfe der CIA gestürzt wurde.
"Wer weiß, wie es im Iran heute aussehen würde, wenn dieser Putsch von
außen nicht stattgefunden hätte."
Der "arabische Frühling" hat bei Mohit zu neuer
Hoffnung auf politischen Wandel im Iran geführt. Der Zeitpunkt, so meint
er, liege vor allem an den neuen Medien und
Kommunikationsmöglichkeiten, die die Bevölkerungen viel mehr als früher
in die Lage versetzten, sich unabhängig von den staatlichen Medien zu
informieren. "Vor dieser Globalisierung der Information, des Austausches
von politischen Ideen und Erfahrungen und der gegenseitigen Mut-Mache
haben die Regierungen Angst. Das ist eine sehr positive Entwicklung."
Der Islam, sagt Mohit, hat auch viel mit politischer Ideologie zu tun. Daher müsse eine demokratische Veränderung der
Gesellschaft
auch mit einer Reform des Islam einhergehen. Dies ist auch eine der
Forderungen der Demonstranten im Iran. "In Teheran nehmen daran auch
Mullahs teil, die sich gegen die Auslegung des Islam durch
Fundamentalisten richten. In der jetzigen Form ist Demokratie unter der
Religion kaum möglich."
Bewohner zweier Welten
Die Revolutionen in der arabischen Welt wirken sich
auch auf die Verlagsarbeit aus, da sich plötzlich viel mehr Menschen für
diese Kulturräume interessieren. Und gerade die Exilliteratur zeichnet
ein differenziertes und kritisches Bild dieser Gesellschaften und
offeriert hierdurch einen Zugang.
Mittlerweile ist die thematische Bandbreite des
Verlages größer geworden, auch wenn Exilliteratur immer noch einen
Schwerpunkt bildet. So kommen aus dem Hause Sujet mittlerweile auch
Kinderbücher und Romane.
Sein Unternehmen hat eine ähnliche Entwicklung
genommen wie das Leben von Madjid Mohit. Verlag wie Verleger pendeln im
Spannungsfeld zwischen deutscher und iranischer Kultur, zwischen
Literatur und politischer Veränderung. Mohit ist ein Bewohner zweier
Welten. Eine ist seine Heimat, die andere sein Zuhause.
Vor drei Jahren ist er zum ersten Mal wieder in den
Iran gereist. Kurze Zeit später dann noch einmal, Sylvester 2010, zum
80. Geburtstag seiner Mutter. Doch es war keine Heimkehr, sondern nur
ein Besuch. "Ich habe nach dieser Reise festgestellt, dass der Iran
nicht mehr mein Zuhause ist, weil ich mich beruflich und privat in
Deutschland
entwickelt habe. Ich fühle mich hier wohl und bin inzwischen fest in
meinem sozialen Umfeld integriert. Hier habe ich meine Luftwurzeln."
am 11.08.11 von Johannes Schnös