شنبه
:Johannes Schnös


Verleger Madjid Mohit: In der alten Heimat fremd


Vom politischen Flüchtling zum erfolgreichen Verleger: Der Bremer Sujet-Verlag des gebürtigen Iraners Madjid Mohithat hat sich auf deutschsprachige Literatur von Exil-Ausländern spezialisiert. Der Verleger pendelt gemeinsam mit seinen Autoren zwischen vertrauter und fremder Kultur und erreicht dabei immer größere Ausschläge - inzwischen publiziert er auch Kinderbücher und Romane.
Madjid Mohit liebt Bücher. Er ist mit Büchern aufgewachsen. Genauso wie der Rest seiner Familie. In der mittlerweile dritten Generation verlegt seine Familie Bücher im Iran. Sein Großvater publizierte das erste deutsch-persische Wörterbuch. Doch die Lage für Privatverleger im Iran ist schwierig. Jahrelang wurde Mohits Arbeit durch die Zensur behindert. Mit dem Todesurteil von Ajatollah Chomeini gegen den indisch-britischen Schriftsteller Salman Rushdie im Jahr 1989 verschlimmerte sich die Situation weiter. Die Arbeit von Privatverlegern war teilweise überhaupt nicht mehr möglich.
Dann im Jahr 1990 hat Mohit die Nase voll. Er entschließt sich zur Flucht aus dem Iran. Mit falschen Papieren gelangt er über Ägypten nach Zypern. Sein Ziel: Kanada, er spricht damals nur englisch. Doch am Frankfurter Flughafen endet seine Reise jäh. Der Bundesgrenzschutz hindert ihn an der Weiterreise. Mohit strandet in Deutschland. "Ich konnte nicht zurück, deshalb bin ich hier geblieben."
Mohits Sujet-Verlag in Bremen ist heute eine Erfolgsgeschichte. Was zunächst in einem Keller mit einer alten Druckmaschine beginnt, ist heute ein Verlag, der bereits 72 Bücher publiziert hat. Besonders am Herzen liegt dem Verleger die Lyrik. "Sie ist für mich die schönste literarische Form." Leider sei der Markt dafür jedoch sehr klein. Ein Traumprojekt wäre für ihn eine Veranstaltungsreihe über deutsche und iranische Lyrik in zwei Sprachen. Bislang ist dies jedoch an der Finanzierung gescheitert. In der Vergangenheit kam es durch die Arbeit des Verlages bereits zur Zusammenarbeit von deutschen und ausländischen Autoren.
"Iranische Kultur und Literatur ist ein Teil von mir, daher ist es mir wichtig, die iranische Literatur bekannter zu machen und ihr ein Forum zu bieten." Lange Zeit spezialisierte sich Mohits Verlag auf iranische Exilliteratur. Der Verleger hatte zunächst vor, Werke iranischer Autoren in deutscher Übersetzung zu publizieren. "Dann aber hat es sich so entwickelt, dass wir fast nur ausländische Autoren bei uns haben, die hier leben und in Deutsch schreiben."
Eigentlich, ist das ein Widerspruch: Ausländische Autoren, die hier leben. Doch genau das ist auch das Spannungsfeld, in dem sich viele der Bücher des Verlags bewegen. Es geht um die Auseinandersetzung mit der Fremde, mit einer anderen Kultur, mit dem eigenen Platz in der Welt.
"Gare du Nord" beispielsweise von Abdelkader Djemai handelt von drei alten zufriedenen Algeriern in Paris, die sich dennoch Gedanken darüber machen, wie es wohl sein mag, fernab der Heimat zu sterben. "Das ist vielleicht das erste Mal, dass jemand über Migration schreibt, ohne dass dabei irgendwelche Konflikte im Vordergrund stehen. Das ist es, was Literatur schon immer geschafft hat; sie hinterlässt Spuren und entwickelt Einfluss."

Totalitäre Funktion des Islam

Genau genommen sei der Begriff Exilliteratur deswegen nicht ganz richtig, so Mohit. Zu eindimensional. "Diese Art von Büchern verursacht andere literarische Formen, wie Integrationsliteratur oder Luftwurzelliteratur." Es ist gerade diese besondere entwurzelte Lage, die für die Arbeit dieser Autoren so ausschlaggebend ist. "Es sind Menschen, die immer wieder nach einer neuen Identität suchen und bei ihren Werken Fremde, Migration, Identitätslosigkeit oder das Anders-Sein thematisieren."
Im Hamburg-Krimi "Schiller Connection" von Shahram Rahimian hilft der Exil-Iraner und Übersetzer Josef Ayene, inmitten seiner Midlifecrisis der Polizei dabei, einen Mord an einem Iraner aufzuklären. Der Protagonist verliert sich immer mehr in seiner eigenen Vergangenheit, in politischen Ideologien, in einer Liebesbeziehung zu einer Deutschen und vor allem in der Suche nach der eigenen Identität.
Das erste Buch, das im Verlag erschien war Mahmood Falakis "Die Schatten". Es handelt von einem Iraner, der auf der Suche nach dem Mörder seines Onkels eine gedankliche Aufarbeitung seiner Kindheitserinnerungen betreibt und sich so mit seiner ersten Liebe, der Rolle der Frau in der Gesellschaft und der totalitären Funktion des Islam auseinandersetzt. Aufgrund von erotischen Passagen und Gesellschaftskritik ist das Buch im Iran verboten.

Besonders tragisch findet der Bremer Verleger die öffentliche Wahrnehmung des Irans infolge der medialen Berichterstattung. "Der Iran wird als traditionell islamisches Land gesehen, und genau das will auch die iranische Regierung, große Teile der Bevölkerung sind jedoch liberal und modern eingestellt." Vor allem das iranische Kino und die Literatur würden hier ein sehr viel differenzierteres Bild über das Land liefern.
Auch geschichtlich nimmt die iranische Gesellschaft eine Sonderstellung ein. Im Gegensatz zum Großteil der Länder des nahen Ostens, ist der Iran kein arabisches, sondern ein persisches Land mit einer viel älteren Kultur. Dies schlägt sich bereits in der Sprache nieder. Alle "iranischen Sprachen" sind im Gegensatz zu arabisch eine Untergruppe der indogermanischen Sprachfamilie.
Die Islamisierung des Irans ist ein Bruch der kulturellen Entwicklung des Landes, so Mohit. Auch in Bezug auf den Islam hat der Iran eine Sonderstellung. Hier entstand das Schiitentum und auch heute noch stellen die Schiiten die größte Bevölkerungsgruppe dar. Abgesehen vom Irak sind in allen anderen islamischen Staaten die Suniten in der Mehrheit.
Gerade in dieser kulturellen Diversität sieht Mohit aber auch eine Stärke des Irans. Das Land habe immer eine Vorreiterrolle in der Region gespielt. Mit Mohammed Mossadegh war es von 1951 bis 1953 das erste Land im islamischen Kulturraum, das einen demokratisch gewählten Ministerpräsidenten hatte, der jedoch aufgrund wirtschaftlicher Interessen von den USA mithilfe der CIA gestürzt wurde. "Wer weiß, wie es im Iran heute aussehen würde, wenn dieser Putsch von außen nicht stattgefunden hätte."
Der "arabische Frühling" hat bei Mohit zu neuer Hoffnung auf politischen Wandel im Iran geführt. Der Zeitpunkt, so meint er, liege vor allem an den neuen Medien und Kommunikationsmöglichkeiten, die die Bevölkerungen viel mehr als früher in die Lage versetzten, sich unabhängig von den staatlichen Medien zu informieren. "Vor dieser Globalisierung der Information, des Austausches von politischen Ideen und Erfahrungen und der gegenseitigen Mut-Mache haben die Regierungen Angst. Das ist eine sehr positive Entwicklung."
Der Islam, sagt Mohit, hat auch viel mit politischer Ideologie zu tun. Daher müsse eine demokratische Veränderung der Gesellschaft auch mit einer Reform des Islam einhergehen. Dies ist auch eine der Forderungen der Demonstranten im Iran. "In Teheran nehmen daran auch Mullahs teil, die sich gegen die Auslegung des Islam durch Fundamentalisten richten. In der jetzigen Form ist Demokratie unter der Religion kaum möglich."

Bewohner zweier Welten

Die Revolutionen in der arabischen Welt wirken sich auch auf die Verlagsarbeit aus, da sich plötzlich viel mehr Menschen für diese Kulturräume interessieren. Und gerade die Exilliteratur zeichnet ein differenziertes und kritisches Bild dieser Gesellschaften und offeriert hierdurch einen Zugang.
Mittlerweile ist die thematische Bandbreite des Verlages größer geworden, auch wenn Exilliteratur immer noch einen Schwerpunkt bildet. So kommen aus dem Hause Sujet mittlerweile auch Kinderbücher und Romane. 
Sein Unternehmen hat eine ähnliche Entwicklung genommen wie das Leben von Madjid Mohit. Verlag wie Verleger pendeln im Spannungsfeld zwischen deutscher und iranischer Kultur, zwischen Literatur und politischer Veränderung. Mohit ist ein Bewohner zweier Welten. Eine ist seine Heimat, die andere sein Zuhause.
Vor drei Jahren ist er zum ersten Mal wieder in den Iran gereist. Kurze Zeit später dann noch einmal, Sylvester 2010, zum 80. Geburtstag seiner Mutter. Doch es war keine Heimkehr, sondern nur ein Besuch. "Ich habe nach dieser Reise festgestellt, dass der Iran nicht mehr mein Zuhause ist, weil ich mich beruflich und privat in Deutschland entwickelt habe. Ich fühle mich hier wohl und bin inzwischen fest in meinem sozialen Umfeld integriert. Hier habe ich meine Luftwurzeln." 

Erschienen bei Süddeutsche Zeitung
am 11.08.11 von Johannes Schnös


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